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Archiv-Artikel

Den Virus lieben lernen

„Systemstörung“: Das Oldenburger Haus für Medienkunst irritiert mit Nulldollarscheinen und harmlosen Würmern, die von der Abhängigkeit der Menschen von der Datenverarbeitung berichten

Null-Dollar-Scheine irritieren in Kassen und Brieftaschen. Elektronische Köder reisen durchs Internet und legen die (un)heimlichen Datenbanken von Firmen lahm. Ein mexikanischer Studentenausweis verhilft jedem zu vergünstigten Theaterkarten oder Flügen: Systemstörungen dieser Art inszenieren derzeit zwölf Künstler und Künstlerinnen im Oldenburger Edith-Ruß-Haus für Medienkunst.

„Eltern haften für ihre Kinder“, begrüßt eine künstliche Stimme die eintretende Besucherin. Der nächste Gast erfährt im gleichen Ton – zwischen unerwünschter mütterlicher Fürsorge und Anweisung – wo die Toiletten sind. Muss man hier Regeln beachten? Die Lust wächst, mehrfach ein- und auszutreten, um zu erfahren, was für merkwürdige Botschaften die Stimme sonst noch verbreitet, aber schon lockt rötlich strahlend das Copyleft-Symbol der Künstlerin Silke Wagner in die Ausstellungshalle. Das Neon-Zeichen hebt sich warm und sinnlich ab von den technischen Anordnungen, Grafiken, Projektionen rundherum.

Wirtschafts-, Macht-, Daten- und Überwachungssystem – da ist ein Anflug von Ohnmacht nicht weit. Die KünstlerInnen verleihen der ureigenen Spannung zwischen Individuum und allgegenwärtigem System Ausdruck, suchen nach Handlungsmöglichkeiten, spüren möglichen Störungen nach. Die Gruppe 0100101110101101.Org schickt beispielsweise den Virus biennale.py durch das Computernetzwerk. Er ist harmlos, weckt jedoch das Bewusstsein für die Abhängigkeit der Gesellschaft von der Datenverarbeitung. Dafür müsste man ihn eigentlich lieben.

Auch bekannte Namen wie Hans Haacke oder Cildo Meireles sind mit Arbeiten aus den 70er und 80er Jahren vertreten. In der Gegenüberstellung dieser Stücke mit junger, aktueller Medienkunst werden Entwicklungen erkennbar. Stile und Ausdrucksformen treten in ein Wechselspiel, der Besucher findet sich wieder in der Auseinandersetzung darum, was Kunst ist, kann, will.

Die Konzeption der Ausstellung spiegelt das Konzept des Hauses. Leiterin Rosanne Altstatt ist weit davon entfernt, den schwierigen Begriff der Medienkunst auf die engste der möglichen Definitionen als Kunst mit den Mitteln der elektronischen Medien – etwa experimentelle Video-, Film- und Fotoarbeiten – zu reduzieren. Was Medienkunst sein kann, definiere sich ohnehin immer wieder neu. Der Amerikanerin geht es um die Auseinandersetzung damit, wie die neuen Medien unser Leben und damit auch die Kunst verändern. Schließlich seien die medialen Künste – aufs Ganze der Kunstgeschichte gesehen – noch sehr jung und darum vielen fremd. „Diese Hemmschwelle muss man anerkennen und überlegen, wie man damit umgeht.“ Die Oldenburger Antwort lautet: Begegnung, Austausch, Diskussion. Im Wechsel mit den Ausstellungen bietet das Medienkunsthaus mehrwöchige Veranstaltungsreihen zu Fragen der Medien, der Kunst, der Mediengesellschaft an.

Trotz aller Euphorie gehen die harten Zeiten der knappen Kassen auch am Haus für Medienkunst nicht vorbei: Bislang wurden mit Unterstützung der Stiftung Niedersachsen jährlich drei junge Künstler aus aller Welt gefördert. Turnusgemäß läuft die befristete Förderung zum nächsten Jahr aus. Noch ist man auf der Suche nach einem neuen Sponsor. Mit der Mexikanerin Minerva Cuevas und dem Rumänen Calin Dan stellen zwei der diesjährigen Stipendiaten im Rahmen von „Systemstörung“ aus.

„Lächle!“, fordert die Stimme am Ausgang die Besucherin auf – der Bedrohung des Stipendiatenprogramms und der Macht der Systeme zum Trotz. Die Künstlerin Andrea Fraser ist bekannt geworden für ihre Aktionen, mit denen sie das System „Kunstbetrieb“ hinterfragt. Die Arbeit AMUSE(UM) stammt ursprünglich aus dem Jahr 1986, für Oldenburg wurde eine aktuelle Version erstellt. „Kommen Sie gerne wieder.“ Ulrike Wendt

Bis 9. Januar im Edith-Ruß-Haus OL: Di-Fr 14-17 Uhr Sa-So 11-17 Uhr