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Archiv-Artikel

Zu Ehren des Hamburger Musikers Peter Niklas Wilson: Das John Tchicai Trio im Birdland Als der Sound nicht mehr heiß war

Ins eine oder andere Jazz-Lexikon hat er es geschafft, mithin das allzu rasche Vergessenwerden erst mal vermieden: John Tchicai, nie so recht berühmt gewordener Nebendarsteller des freien Jazz. 1936 in Dänemark geboren, ging der Sohn eines kongolesischen Vaters und einer dänischen Mutter 1962, nach absolviertem Konservatorium, nach New York. Dort, im Epizentrum des damals neuen, heißen Sounds, blieb er zwar weniger als vier Jahre, während derer spielte der Saxophonist aber auf wenigstens elf Alben mit, von denen so manche als Meilenstein des Genres Free Jazz gehandelt werden: John Coltranes großorchestralem Befreiungsschlag Ascension, 1965, den Alben des New York Art Quartet, New York Eye and Ear Control mit Albert Ayler oder Four for Trane mit Archie Shepp.

Danach kehrte Tchicai nach Kopenhagen zurück, wo er in etlichen, wiederum teils groß besetzten Formationen dem freien Jazz auch dann noch nachspürte, als dieser keine hippe Angelegenheit mehr war – er war es sowieso immer nur für ein kleines Publikum gewesen. Mit nahezu allen Größen der europäischen improvisierten Musik traf Tchicai irgendwann zusammen. Nicht immer, so erinnerte er sich später, passten deren typische Ausdrucksformen zu seinem eigenen Stil, der bei allem Freiheitsdrang nie verleugnete, was die Tradition an Schönem hervorgebracht hatte.

Durchaus nicht selbstverständlich, mag diese Eigenschaft erklären, warum die Veranstalter der jetzt anstehenden Handvoll Deutschland-Konzerte von Tchicais Trio mit Vitold Rek und Makaya Ntshoko allen Ernstes „gefühlvollen Saxophon-Jazz“ in Aussicht stellen – denn darunter verstehen nicht nur konservative Jazz-Auditorien gemeinhin anderes als das „Getute“, wie es dem Free Jazz böswillig attestiert worden ist.

Heutzutage kann man ihn in allen Ecken und Enden der Jazzwelt erleben, mag er nachts vor spärlichem Publikum in der New Yorker Lower East Side ein teilnotiertes Werk für Bigband aufführen, um tags darauf ein hochkulturell anmutendes, subventioniertes Event zu bereichern. Ein Anhänger des so erfolgreichen Neotraditionalismus, der unter Ausblendung etlicher Jahrzehnte den „richtigen“ Jazz definieren möchte, ist er dabei nicht geworden. Tchicai scheut das Experiment nicht, aus Prinzip vor den Kopf stößt er aber auch niemanden.

Jetzt in Hamburg hätte Tchicai, so gern er mit der angekündigten Besetzung spielen mag (und so beeindruckend das werden dürfte), eigentlich wohl lieber einen anderen Musiker mit auf der Bühne: den Ende Oktober 2003 an Leukämie verstorbenen Hamburger Peter Niklas Wilson, Kontrabassisten, Musikwissenschaftler und Publizisten zu Fragen der improvisierten und Neuen Musik, streitbarer Vertreter des „Hier und Jetzt“ der gemeinsamen Improvisation als eines Stücks Utopie vom Zusammenleben.

Statt seiner ist jetzt Vitold Rek dabei, bestens beleumundeter Kontrabassist, der seit einigen Jahren im Rhein-Main-Gebiet lebt und arbeitet. „Eleganz gepaart mit neutönerischen Harmonien bei gleichzeitiger Liedhaftigkeit“ sind ihm an anderer Stelle zugeschrieben worden, bei alledem aber hat er seine Wurzeln nie vergessen – weder die der klassischen Musik noch die der polnischen musikalischen Tradition, vor der er sich „immer wieder verneigt, nicht rein verehrend allerdings, sondern mit ihr spielend“.

Zusammen mit dem in Südafrika geborenen, seit rund 40 Jahren in der Schweiz lebenden Schlagzeuger Makaya Ntshoko haben Tchicai und Rek nicht zuletzt vor, Kompositionen von Wilson zu spielen – wem derlei nicht überzogen erscheint, der darf mutmaßen, dass sich der Verstorbene freuen dürfte über die vorerst letzte Ehrung.

Alexander Diehl

Freitag, 21.15 Uhr, Birdland