Ärger im Offenen Kanal

Erstmals in ihrer Geschichte beanstandet die Bremer Landesmedienanstalt einen Beitrag des Offenen Kanals wegen Persönlichkeitsverletzung. Gerd Augustin, dem Harald Schmidt des OK Bremen, droht ein unbefristetes Sendeverbot

Augustins „Musikgeschichten“ gehören wegen der deftigen Anmoderationen zu den beliebtesten Beiträgen

Bremen taz ■ „Dann hat Berni diesen Jungen aufgebaut, diesen kleinen Fettwanst, der Fettwanst aus Walle.“ Unter anderem mit diesem Satz über CDU-Landeschef Bernd Neumann und Bausenator Jens Eckhoff (ebenfalls CDU) hat sich der Offene Kanal (OK) Bremen/Bremerhaven einen Sendeausschluss wegen Verletzung der persönlichen Ehre eingehandelt – dem ersten in seiner zwölfjährigen Geschichte. Betroffen ist Gerd Augustin. Dessen „Musikgeschichten“ gehören gerade wegen der ebenso deftigen wie weitschweifenden Anmoderationen zu den beliebtesten Beiträgen im Bürgerfunk, der täglich vier Stunden selbst gemachtes Programm bietet.

Einziger Präzendenzfall: Ein einjähriger Ausschluss für einen OK-Hörfunker wegen allgemeiner fäkalsprachlicher Orientierung. Ansonsten nennt die OK-Satzung als potentielle Ausschlussgründe in erster Linie Technisches wie die Überschreitung der Sendezeit beziehungsweise die Nichtnutzung derselben. Die Augustin‘schen Sünden sind andere: Bernd Neumann, der auch CDU/CSU-Obmann im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien ist, wolle „sozusagen der Joseph Goebbels von Berlin werden“. Und im hiesigen Kulturressort habe er „seine Monica Lewinski“ im Kulturressort sitzen – eine Anspielung auf Staatsrätin Elisabeth Motschmann (CDU). Auch ansonsten nimmt sich Augustin mit Vorliebe und ungehemmter Wortgewalt des Beziehungsgeflechts zwischen CDU-Granden und anderen Akteuren wie dem KPS-Chef Klaus-Peter Schulenberg an. „Der Bürgerfunk ist kein Forum für Beleidigungen“, kommentiert Wolfgang Schneider, Direktor der Bremer Landesmedienanstalt und als solcher zuständig für den Sendeauschluss, den sprachlichen Duktus der Kritik.

Andererseits ist festgelegt: Im Bürgerfunk gilt nicht das sonst verbindliche journalistische Ausgewogenheitsgebot. Speziell Satire könne nur „in ganz besonderen Ausnahmefällen“ mit den von Medien- und Persönlichkeitsschutzgesetzen gezogenen Grenzen in Konflikt kommen, heißt es in einschlägigen Stellungnahmen der Landesmedienanstalten. Woran sich die für dasweitere Auschlussverfahren möglicherweise entscheidende Frage ergibt: Ist Augustins Sendung per se Satire? Der 61-jährige Ex-Manager von Tina Turner kultiviert seit sieben Jahren eine Mischung aus Speaker‘s Corner, Spontantheater und Harald Schmidt, inklusive der eingestreuten Dialoge mit beliebigen Partnern im Off. Das alles als Mega-Vorspann zu Trouvaillen aus Augustins unerschöpflichem Musikfilmarchiv – und garniert mit dem Charme der spezifischen Livesendebedingungen des Offenen Kanals, in dessen Studio die Yucca-Palme hinter dem Monitor aufragt und allerlei Besucher am Moderator vorbei laufen. Darf man da das Wort „Schweinehund in einem Atemzug mit „Eckhoff“ nennen?

Augustin hat nachgezählt: Allein im letzten „Scheibenwischer“ sei zwölfmal das Wort „Schweinehund“ gefallen – ganz zu schweigen vom täglichen „motherfucker“-Gerede auf Radio Bremen. Aus Schneiders Sicht ist hier allerdings zwischen einer „kraftvollen Sprache“ an sich und „persönlich gemünzten Beleidigungen“ zu unterscheiden. Aber hätte dann nicht auch Helmut Kohl ein Ausschlussverfahren gedroht, wenn er seinen historischen Goebbels/Gorbatschow-Vergleich seinerzeit im offenen Kanal gebracht hätte? Schneider: „Hier gilt in der Tat die Vermutung der Gleichbehandlung.“

Auch außerhalb Bremens sind Ausschlüsse mit Bezug auf Landesmediengesetz und Strafgesetzbuch „sehr selten“, bestätigt Ute Reinhöfer vom Bundesverband Offene Kanäle. Die wenigen Fälle in der Vergangenheit hätten sich auf rechtsextremistische Volksverhetzung bezogen. Außerdem habe es noch zwei Bürgermeister gegeben, die sich verunglimpft gefühlt hätten, ohne mit ihren – teils sogar gerichtlich verfochtenen – Beschwerden jedoch Recht zu bekommen. Reinhöfer: „Im Bürgerfunk geht es eher um Ermutigung als um Reglementierung.“

Und was sagen die Betroffenen? „Das ist so absurd, das berührt mich nicht“, meint Bernd Neumann auf Anfrage. Senator Eckhoff hingegen – obwohl „nicht fürchterlich empfindlich“ – fühlt sich durchaus „persönlich angegriffen“. „Im Endeffekt“ müssten aber „andere entscheiden“.

Die „Anderen“ sind die Mitglieder des Landesrundfunkausschusses, der den Fall bei seiner seiner nächsten Sitzung am 20. Oktober behandeln wird. Dort muss entschieden werden, ob das bislang für die Untersuchungszeit befristete Sendeverbot für Augustin in ein unbefristetes verwandelt wird. Dagegen bliebe Augustin nur der Gang zum Verwaltungsgericht.

Henning Bleyl