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Archiv-Artikel

Paradies im Parkhaus

Gleichheit vor dem Beat: Der legendären Paradise Garage in New York, Blueprint der späteren Clubkultur, und ihrem DJ Larry Levan gilt der Film „Maestro“ von Josell Ramos

Er hat schon etwas Bizarres, der Kult um den DJ Larry Levan und seinen Club, die legendäre New Yorker Paradise Garage. Als er 1987 schließen musste, schien es das Ende einer Ära einzuläuten, das Ende von Disco, das Ende des drogenselig-hedonistischen, schwulen, schwarz-hispanischen Dance-Undergrounds. Wie ein Feuersturm war Aids durch die Reihen derer gezogen, die diese Szene getragen hatten, und nun schien die Entscheidung des Betreibers, den Laden zu schließen, diesen Menschen auch noch ihren zentralen Ort zu nehmen. Doch je mehr Zeit ins Land geht, desto eher hat man das Gefühl, als sei es der Anfang von etwas gewesen. Ein Vorschein dessen, was erst noch kommen sollte.

Tatsächlich sollte der Club einer der zentralen Orte der Neunziger werden. Doch schaut man sich „Maestro“ an, Josell Ramos’ ansonsten ganz wunderbaren Dokumentarfilm über Larry Levan und die Paradise Garage, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als schlage dieser Subtext ein paar Mal zu häufig durch. Hier wird kein realer Ort rekonstruiert oder dem Leben eines real existierenden Menschen nachgespürt: Aus der Perspektive einer mittlerweile voll ausgebildeten Club-Religion wird hier vom zerstörten Tempel erzählt und von dem Heiligen, der sein Ende nur um wenige Jahre überlebte.

Die Paradise Garage eröffnete 1977, wenige Wochen nach dem ungleich bekannteren Studio 54. Zwar wurden beide Läden von Celebritys besucht, doch wenn sie ins Studio 54 gingen, wollten sie gefeiert werden – wenn sie in die Paradise Garage gingen, wollten sie feiern. Beide Clubs mochten Parallelwelten bilden: Im Unterschied zum Studio 54 sollte die Garage jedoch der Blueprint eines Konzepts werden, das sich den Club als eine Art Wohnzimmer vorstellte. Nicht um die unerreichbaren Höhen des Glamours sollte es hier gehen, sondern um einen Ort der Gleichheit vor dem Beat, ein Raum der Hingabe, an dem all die Zuschreibungen der feindlichen Umwelt nichts galten. Ein Paradies im Parkhaus.

Larry Levan lebte in seinem Club, verwendete die Tage unter der Woche, um ihn ständig umzugestalten, ließ manchmal die Gäste stundenlang auf Musik warten, weil der Klang noch nicht perfekt war oder eine Glühbirne defekt. Weit davon entfernt, ein technisch perfekter DJ zu sein, gelang es ihm jedoch Nacht für Nacht, sein Publikum in den Bann zu ziehen, jedes Set zum Teil seines persönlichen Dramas zu machen.

So leuchtet es einem in „Maestro“ wenigstens aus den Augen derjenigen entgegen, die dabei waren. Denn es scheint so gut wie kein Bildmaterial aus der Paradise Garage zu geben. Es ist der immergleiche Schwenk über die Tanzfläche, den Ramos mehrmals wiederholt, die einzigen Bilder von Levan in seiner DJ-Kanzel sind ausgerechnet an dem Wochenende aufgenommen, als die Garage mit einer dreitägigen Party ihre Schließung beging. Doch gerade diese Unsichtbarkeit hat ihren ganz eigenen Charme.

Vier Jahre hat Ramos an „Maestro“ gearbeitet und von den Gläsereinsammlern der Garage, den Türstehern und dem Lichtmann über zahllose Tänzer und Sängerinnen bis zu den Heerscharen von DJs, die ihre Initiation bei Larry Levan erlebten, Dutzende von Zeitzeugen aufgetrieben. Bewegend zu sehen, wie Francis Grosso und Steve D’Aquisto, zwei legendäre DJs der Siebziger, sich im Krankenzimmer fortwährend vor Enthusiasmus gegenseitig ins Wort fallen. Wenige Monate nach Ende der Dreharbeiten sollten sie sterben.

So traurig einen Szenen wie diese stimmen, so bereitwillig man sich in die Trauer über diese untergegangene Welt fallen lassen kann – ein wenig kommen einem die Erzählungen all dieser Paradise-Gänger vor wie die zahllosen Gespräche, die seit der Schließung des Berliner Technoclubs Ostgut geführt werden. Wie es an diesem einen Abend war, als erst dieses Stück kam und der DJ dann jenen Track droppte und die Tanzfläche Kopf stand. Tatsächlich ist dies oft die einzige Rettung vor der Melancholie, die das Glück immer nur in der Vergangenheitsform kennt. Doch das ist falsch. Die Vertreibung aus dem Paradies mag zwar kein Zurück, aber das Ostgut macht in der nächsten Woche wieder auf. TOBIAS RAPP

Im Central 2, 23.30 Uhr, im Eiszeit 2, 22.15 Uhr