: Die zivilen Rocker
Wie aus „Jugos“ Deutsche und aus Deutschen „Jugos“ wurden: Rüdiger Rossig dokumentiert den Zusammenhang von westlicher Popkultur und Migration aus Exjugoslawien
VON ERICH RATHFELDER
Die Einwanderungsbevölkerung aus dem ehemaligen Jugoslawien steht zahlenmäßig nach den Türken an zweiter Stelle. Sie ist in unserem Land wenig sichtbar. Noch weniger sichtbar ist das lebendige Kulturleben, das es in dieser widersprüchlichen Szenerie aus unterschiedlichen Einwanderungswellen gibt.
taz-Redakteur Rüdiger Rossig erweist sich in „Ex-Yugos. Junge MigrantInnen aus Jugoslawien und seinen Nachfolgestaaten in Deutschland“ als ausgesprochener Kenner der Musik- und Kulturszene dieser Einwanderungsgruppen.
Er zeigt die nationalen Differenzierungen nach den Erfahrungen des Krieges der 90er-Jahre, sucht in der Geschichte der Individuen unaufdringlich nach dem Gemeinsamen, fragt sie nach der Konfrontation mit der deutschen Gesellschaft, beschreibt die Integrationsprozesse und die gespaltenen Identitäten. Rossig zeichnet ein sehr differenziertes Bild von diesen Menschen, ihrer Geschichte, ihren Produktivitäten.
Als die „Jugos“ in den 60er-Jahren nach Deutschland kamen, galten sie bald als die besten Arbeiter. Den Deutschen war es nicht wichtig, dass es Bosnier, Kroaten, Mazedonier, Serben und Slowenen in diesem Lande gab, für die deutsche Gesellschaft waren alle „Jugos“.
Rossig beschreibt die damalige jugoslawische Gesellschaft – den Traum, im Ausland das schnelle Geld zu verdienen und dann zurück in die durchaus positiv gesehene sozialistische Gesellschaft des Titostaates zu gehen. Auch deshalb bedeuteten die „Jugos“ für Deutsche kein Problem.
„Ich bin 1968 für ein Jahr nach Deutschland gekommen, dieses Jahr ist nie zu Ende gegangen“, sagt die porträtierte Dalmatinerin Bosiljka Schedlich. Die spätere Leiterin des Kulturzentrums Südosteuropa Kultur e. V. in Berlin stieg von einer Bandarbeiterin ziemlich schnell zur Dolmetscherin auf, leitete ein Heim für Gastarbeiter, half bei Behördengängen, wurde zu einer Institution für ihre Landsleute. Und sie mischte sich in die deutsche Gesellschaft ein, organisierte Ausstellungen und Kulturevents. Die Arbeiter begannen, ihre Partner nachzuholen oder heirateten Deutsche, die Kinder, die „Jugovici“, passten sich schnell an.
Dass die zweite Generation mehr als in den anderen Einwanderungsbevölkerungen „deutsch“ geworden ist, und dennoch ihre Wurzeln in der lebendigen Kultur Jugoslawiens sieht, dokumentiert Rossig überzeugend. Im Kapitel „Wie die Rockmusik nach Jugoslawien kam“ ordnet er die Szene kulturhistorisch ein und zeigt, dass Rockmusik dort nicht wie in den anderen Staaten des Ostblocks von den Mächtigen abgelehnt wurde.
Der Rock der Sechzigerjahre wurde in Jugoslawien aufgenommen, amalgamiert, verdaut, neu definiert und produktiv gewendet. Rossig gibt einen genauen Überblick über Entwicklung der Musikszenen in Belgrad, Sarajevo, Zagreb und Ljubljana, erzählt den Aufstieg der legendären Gruppe Bijelo Dugme (Weißer Knopf) mit dem Stargitarristen Goran Bregović. Gerade in diesem Teil des Buchs sind die Illustrationen hervorragend.
Und er spürt dem subversiven Gehalt der Rockmusik in Jugoslawien nach, die sich durch den aufkommenden Nationalismus der 80er-Jahre nicht instrumentalisieren lässt. Die Beschreibung der Auseinandersetzung dieser Musikszene mit dem aufkommenden „Turbo-Folk“ ist sehr aufschlussreich: Der von den Nationalisten bevorzugte Turbo-Folk begann zwar zu dominieren, doch die jugoslawische Rockkultur kam mit den hunderttausenden von Flüchtlingen, den „Jugos“ der Kriege der Neunzigerjahre, nach Deutschland.
Schön die Beschreibung der Musikszene in Berlin und anderen Städten Deutschlands. Mit vielen Porträts gelingt es dem Autor, den Überlebenswillen und auch die sich wieder regende Lebensfreude der Flüchtlinge aufzuzeigen. Auch wenn sich die Einwanderungsbevölkerung in Bosnier, Serben, Kroaten etc. aufgespalten hat, die eigenständige Musik- und Kulturszene verbindet.
Der Autor muss konstatieren, wie im Laufe der Jahre bei vielen aus der produktiven eine konsumierende Haltung geworden ist, die liebevollen Porträts von jungen Leuten jedoch weisen in die Zukunft. Schade nur, dass die Kosovo-Albaner gar nicht berücksichtigt wurden. Schade auch, dass der Autor nicht erklärt, warum der mehrmals mit Bewunderung genannte Filmemacher und Exmuslim Emir Kusturica aus Sarajevo zum serbischen Nationalismus und zum orthodoxen Glauben übergelaufen ist. Aber das führte vielleicht auch zu weit. Dieses Buch hat in der Behandlung eines eigentlich sehr sperrigen Themas auf jeden Fall Standards geschaffen.
Mit dem Bild des Autors unter einer Plastik des ehemaligen Staatspräsidenten Josip Broz, genannt Tito, schließt das Buch ab. Es zeigt, dass der Autor dem Staate Jugoslawien nicht nur ein bisschen nachtrauert. Er hält sich aber in der Bewertung, wer nun diesen Staat zerstört hat, auffällig zurück.
Rossig mag Schuldzuweisungen nicht, er möchte den Laden über den Nationalismus hinaus irgendwie zusammenhalten. Und darin besteht in der Tat auch die Identität des rockigen Teils der Musikszene aus dem ehemaligen Jugoslawien.
Rüdiger Rossig, Nihad Nino Pušija: „Ex-Yugos. Junge MigrantInnen aus Jugoslawien und seinen Nachfolgestaaten in Deutschland“. Archiv der Jugendkulturen Verlag, Berlin 2008, 171 Seiten, 139 Abbildungen, 20 Euro