Abschiebung binnen 72 Stunden

Österreichs Parlament verabschiedet das schärfste Asylgesetz Europas. Opposition und Menschenrechtsorganisationen sehen darin einen Verfassungsbruch und wollen den Obersten Gerichtshof anrufen, um die Novelle wieder rückgängig zu machen

„Österreich entfernt sich noch weiter von europäischen Standards“ (UNHCR)

aus Wien RALF LEONHARD

Vor dem Parlament demonstrierten Aktivisten von Menschenrechtsorganisationen und kirchlichen Hilfswerken. Auch im Hohen Haus an der Wiener Ringstraße war die Stimmung explosiv, als am Donnerstag das Plenum die Asylgesetznovelle debattierte und schließlich mit den Stimmen der Regierungsparteien ÖVP und FPÖ absegnete. Das Gesetz mache Österreich zum Schlusslicht in Europa, was Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen betreffe, so die Grüne Menschenrechtssprecherin Terezija Stoisits.

Noch am Montag hatten Grüne und SPÖ für ein Expertenhearing im Parlament die anerkanntesten Verfassungsrechtler, Völkerrechtler, Menschenrechtsexperten und ParktikerInnen aus dem Bereich der Flüchtlingsbetreuung aufgeboten. Einhelliges Urteil: Das Projekt von Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) sei unmenschlich und verfassungswidrig. Es verstoße, so Gottfried Köfner vom UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR, auch gegen die EU-Richtlinie, die Grundversorgung für alle hilfsbedürftigen Asylsuchenden, Berufungsverfahren für Abgewiesene und spezielle Behandlung für Kinder und Folteropfer verlangt: „Bereits das geplante Neuerungsverbot in Asylverfahren ist in der EU einzigartig. Mit dem vorliegenden Projekt entfernt sich Österreich noch weiter von europäischen Standards.“

Das Neuerungsverbot bedeutet, dass Asylbewerber in der zweiten Instanz keine neuen Asylgründe vorbringen dürfen. Fachleute aus der Flüchtlingsbetreuung wissen aber, dass Traumatisierte oft erst nach Monaten imstande sind, über das Erlebte zu sprechen. Das Gesetz sieht zwar für diese Fälle Ausnahmen vor, aber nur dann, wenn die betreffenden die Folter physisch nachweisen können. Außerdem werden die meisten Opfer das Berufungsverfahren nicht mehr in Österreich erleben. Denn die Novelle erlaubt die Abschiebung unmittelbar nach dem negativen Bescheid der ersten Instanz. Dabei bekommt immerhin jeder Fünfte von der Berufungsinstanz recht.

Binnen 72 Stunden nach Stellen des Asylantrags soll die Spreu der „Wirtschaftsflüchtlinge“ vom Weizen der tatsächlich Verfolgten getrennt werden. Die sofortige Abschiebung soll verhindern, dass die Abgewiesenen untertauchen. Zwar begrüßen Hilfswerke und Opposition grundsätzlich die Beschleunigung des Verfahrens, das sich bislang über mehrere Jahre hinzieht, doch halten Experten die vorgesehenen drei Tage für völlig realitätsfremd.

Die längst geübte Praxis, einen Großteil der Asylwerber auf die Straße zu setzen, wurde vom Obersten Gerichtshof in zwei exemplarischen Fällen verurteilt. Der Staat sei verpflichtet, Schutzsuchenden Quartier und Verpflegung zu gewähren. Die katholische Caritas und die evangelische Diakonie, die sich um tausende der Verstoßenen kümmern, forderten darauf vom Innenministerium Ersatz für ihre Aufwendungen. Das neue Gesetz macht jetzt die Betreuungspflicht zu einer Kannbestimmung – der Staat wählt aus, wen er für schutzwürdig hält. In der Vergangenheit wurden auch schwangere Frauen und Kranke aus den Flüchtlingsheimen geworfen. Was Hilfswerke und Juristen gleichermaßen empört, ist die rückwirkende Kraft dieser Bestimmung. Damit entzieht sich der Minister der Zahlungspflicht. Christoph Riedel von der Diakonie, die in den letzten Jahren 900.000 Euro in die Unterbringung von Asylsuchenden gesteckt hat: „Das ist ein Griff in die Taschen unserer Spender. Die haben ja nicht für das Innenministerium gespendet.“

SPÖ-Menschenrechtssprecher Walter Posch warf dem Innenminister vor, den Rechtsstaat verlassen zu haben: Da alle Nachbarländer zu sicheren Drittstaaten erklärt werden, in die sofort zurückgeschoben werden kann, sei es auf dem Landweg so gut wie unmöglich, nach Österreich zu kommen. Also seien die Flüchtlinge verstärkt Schleppern (Schleusern) und Menschenhändlern ausgeliefert. Als sichere Drittstaaten gelten jene Länder, wo die Schutzsuchenden mit einem fairen Asylverfahren rechnen können. Die von den Regierungsparteien überstimmte Opposition bringt das neue Asylgesetz vor den Verfassungsgerichtshof und ist zuversichtlich, dass es dort die krassesten Neuerungen wegen offensichtlicher Verfassungs- und Menschenrechtswidrigkeit wieder aufgehoben wird.

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