: Srebrenica-Verteidiger vor Gericht
Naser Orić muss sich vor dem Haager UN-Tribunal verantworten. Dem Exkommandeur werden Folter von Gefangenen und der Tod von 7 serbischen Zivilisten vorgeworfen
SARAJEVO taz ■ Naser Orić, Kommandeur der Verteidiger von Srebrenica im Bosnienkrieg vor zehn Jahren, muss sich seit vergangenem Mittwoch vor dem UN-Tribunal in Den Haag wegen Kriegsverbrechen verantworten. Entgegen den Wünschen der Verteidigung stellte das Gericht von Anfang an klar, dass dieses Tribunal sich nicht mit dem Massenmord an mehr als 7.000 muslimischen Männern durch serbische Streitkräfte im Juli 1995 befassen wird. Es gehe bei dem Verfahren lediglich um die Taten und Verantwortlichkeiten des jetzt 37-jährigen Expolizisten und Kommandeurs von Srebrenica bis zu seiner Ablösung im Juni 1995.
Der Prozess ist für ein Jahr angesetzt. Naser Orić, der 1992 als 25-Jähriger das Kommando in der damals schon von serbischen Truppen eingeschlossenen Enklave von Srebrenica übernommen hatte, soll verantwortlich sein für den Tod von sieben serbischen Zivilisten. Diese wurden hinter der Polizeistation von Srebrenica von einigen seiner Untergebenen mit Fäusten und Stöcken geschlagen sowie mit Metallgegenständen gefoltert, bis sie starben.
Orić sei ein „von Macht besessener Kriegsfürst“ gewesen, sagte Staatsanwalt Jan Wubben am Mittwoch. Sein Wort sei Gesetz gewesen. Er wirft ihm vor, als Kommandeur diese Taten gebilligt oder zumindest nichts gegen sie unternommen zu haben. Weiterhin hätten seine Leute 50 serbische Höfe und Dörfer überfallen und niedergebrannt, obwohl die Bosnische Armee am 23. August 1992 die international gültigen Regeln der Kriegsführung und damit die Genfer Konvention anerkannt hatte.
Orić bestreitet die ihm vorgeworfenen Verbrechen. Sein Anwalt will sich zudem nicht an die Vorgabe des Gerichtes halten, den Massenmord von 1995 auszublenden. Er erinnerte nicht nur an die Toten, sondern auch daran, dass die UN-Schutzzone nicht von den UN-Streitkräften beschützt wurde und dass „das schlimmste Massaker in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg“ unter den Augen der Weltöffentlichkeit stattfinden konnte.
Ob die Verteidigung ihre Strategie durchsetzen kann, ist allerdings fraglich. Denn das UN-Gericht dürfte sich wohl kaum darauf einlassen, die damals fragwürdige Rolle der UN zu hinterfragen. So muss die Verteidigung alles daran setzen, wenigstens die Hintergründe der Ereignisse seit 1992 in der Enklave auszuleuchten.
Schon allein die Tatsache, dass der für einen solchen Posten viel zu junge Polizist zum Kommandierenden der bosnischen Streitkräfte in der Region ernannt wurde, zeigt, wie chaotisch die Verhältnisse damals waren. Schon zu Beginn des Krieges im Sommer 1992 von serbischen Truppen überrannt, gelang es den in die Wälder geflohenen Muslimen nach Srebrenica und in den Nachbarort Zepa zurückzukehren. Tausende von Flüchtlingen drängten sich in der 20.000 Menschen zählenden Kleinstadt, es herrschte Hunger und Kälte, das Artilleriefeuer der Serben auf die Stadt kostete vielen Menschen das Leben.
Naser Orić gelang es, die versprengten Verteidigungskräfte neu zu organisieren und als Chef der zivilen Verwaltung so etwas wie Ordnung in das Chaos zu bringen. Das begründete seinen legendären Ruf als Kommandeur, dem seine Leute bedingungslos ergeben waren.
Gerade dieser Umstand wird sich für ihn in der Verhandlung nachteilig auswirken. Denn auch wenn er die Folterung der serbischen Gefangenen nicht angeordnet hatte, so muss er doch von ihnen gewusst haben. Ohne ihn ging nichts in Srebrenica.
Bei der Frage des Überfalls auf serbische Dörfer wird es die Verteidigung leichter haben. Da bis Mai 1993 kein UN-Konvoi humanitäre Hilfe bringen durfte, blieb den bosnischen Kämpfern nichts anderes übrig, als durch Überfälle Lebensmittel, Waffen und Munition zu „organisieren“. Mit ethnischen Säuberungen, wie es die serbische Seite bis heute darstellen will, hatte das nichts zu tun. Es fehlte die Systematik, die Vorgänge waren eher Ausdruck der Verzweiflung.
Zudem waren die serbischen Dörfer nicht nur durch die Frontlinie, sondern auch durch serbisches Militär gesichert, weshalb es jeweils zu schweren Kämpfen kam. Viele kämpfende Verteidiger Srebrenicas ließen bei solchen Aktionen ihr Leben. Aktionen wie diese blieben aus, nachdem 1993 UN-Truppen in der Stadt stationiert worden waren.
ERICH RATHFELDER