Das Lügengebäude zerfällt

Der Bericht der US-Waffeninspekteure für den Irak bestätigt: Zum Zeitpunkt der Invasion verfügte der Irak schon jahrelang über keinerlei Massenvernichtungswaffen oder Programme zu ihrer Herstellung

AUS GENF ANDREAS ZUMACH

Das Regime von Saddam Hussein war entgegen aller Behauptungen der Regierungen Bush und Blair vor Beginn des anglo-amerikanischen Irakkrieges vom März 2003 nicht im Besitz von Massenvernichtungswaffen und Langstreckenraketen. Auch existierten keine Programme zur Herstellung derartiger Waffen. Zu diesem Ergebnis kommt der von der Bush-Administration beauftragte US-Waffeninspekteur Charles Duelfer in seinem am Mittwoch veröffentlichten Abschlussbericht.

Duelfer war Chef von 1.400 US-InspektorInnen, die seit Mai 2003 Irak systematisch durchsucht und neben Exdiktator Saddam Hussein hunderte ehemaliger Regierungsmitglieder, Wissenschaftler, Offiziere und Beschäftigte der Rüstungsindustrie zum Thema verbotener Waffen(programme) verhört hatten. Ausschließlich unter Berufung auf Aussagen verhörter Personen äußerte Duelfer zwar die Überzeugung, Saddam Hussein habe „den Ehrgeiz nie aufgegeben“, die verbotenen Waffenprogramme nach einer Aufhebung der 1991 gegen Irak verhängten UNO-Wirtschaftssanktionen wieder aufzunehmen. Allerdings habe auch diese Absicht keine Bedrohung dargestellt.

Duelfers Bericht stellt fest, bereits „Ende 1991“ habe Irak seine „illegalen Waffenkapazitäten grundlegend zerstört“. Genau dieses hatte bereits am 7. August 1995 der damalige Rüstungsminister Iraks, Hussein Kamal, ein Schwiegersohn Saddam Husseins, nach seiner Flucht nach Amman in einem Verhör durch die drei führenden Waffeninspekteure der damaligen UNO-Kommission (Unscom) ausgesagt. Das Protokoll dieses Verhörs, das damals zwar innerhalb weniger Tage an die CIA und den britischen Auslandsgeheimdienst MI 6 ging (die Kamal ebenfalls verhörten), ansonsten aber geheim blieb, wurde im Februar 2003 von der taz veröffentlicht.

Laut Duelfers Bericht zerstörte Irak seine letzte Fabrik zur Herstellung verbotener Waffen –eine geheime Anlage zur Produktion biologischer Massenvernichtungsmittel – im Jahre 1996.

Duelfers Erkenntnisse für die Zeit vom zweiten Golfkrieg vom Frühjahr 1991 bis zum Abzug der Unscom Ende 1998 sind bereits sämtlich in den Anfang 1999 erstellten Abschlussberichten der Unscom sowie der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) enthalten.

Für die inspektionsfreie Zeitspanne seit Anfang 1999 bis November 2002 konzentriert sich Duelfers Bericht auf „potenzielle Brüche“ der Rüstungsverbotssanktion der UNO durch ausländische Unternehmen, Regierungen und Privatpersonen. Im Detail und jeweils mit Klarnamen werden Firmen oder Personen aus Russland, Frankreich, China, Nordkorea, Polen, Rumänien, Ukraine, Belorussland, Syrien und Jordanien benannt, die Irak „vermutlich“ bei der Beschaffung von Waffen oder militärisch nutzbarer Technologie unterstützt oder zumindest entsprechende „Angebote“ an Bagdad gemacht haben. In diesem Zusammenhang taucht auch – allerdings ohne Namen – ein deutsches Unternehmen auf. Duelfer unterschlägt in diesem Kapitel allerdings die US-Firmen, die mutmaßlich oder gar nachweislich zwischen 1998 und 2002 an Sanktionsbrüchen beteiligt waren. Diese Firmen sind im 12.000-seitigen Waffenbericht Bagdads an den UNO-Sicherheitsrat vom Dezember 2002 enthalten, dessen Kapitel über die Aufrüstung Iraks seit 1979 durch die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder der UNO (P5) und Deutschland die taz seinerzeit veröffentlicht hatte. Bis heute werden diese Kapitel des Berichts von den P5 unter Verschluss gehalten.

Ähnlich selektiv geht Duelfer beim Thema „Finanzbeschaffung“ des Bagdader Regimes durch „Korruption“ des 1996 gestarteten Programms „Öl für Nahrungsmittel“ der UNO und durch illegale Ölimporte vor. Der Bericht enthält eigentlich im Faksimile alle im Juni letzten Jahres aus irakischen Quellen aufgetauchten Listen mit den Klarnamen von Firmen und Privatpersonen aus zahlreichen Ländern, die an illegalen Ölgeschäften mit Bagdad beteiligt gewesen sein sollen oder sich durch das Regime bestechen haben lassen sollen. Darunter sind zahlreiche US-Firmen und Personen – unter anderem Neil Bush, der jüngere Bruder des US-Präsidenten. Der veröffentlichte Duelfer-Bericht allerdings verschweigt diese Klarnamen – unter Berufung auf „nationale Gesetze der USA zum Schutz der Privatsphäre“.