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Archiv-Artikel

Geschichtsstunde mit Musik

Ulrich Waller startet am St. Pauli Theater mit der Revue „Auf der Reeperbahn...“ mit einer Standortbestimmung

Ulrich Waller macht mit seiner ersten Premiere im St. Pauli Theater da weiter, wo er in den Kammerspielen aufgehört hat. Schon in der Hartungstraße hatte er sich bei den Jungs mit dem Tüdelband das Ziel gesetzt, eine Volkstheater-Tradition wieder zu beleben, die durch die Nazis verschüttet wurde. Am Spielbudenplatz hat er nun als neuer künstlerischer Leiter den passenden Rahmen dafür gefunden.

In seiner Eröffnungs-Revue Auf der Reeperbahn... zeigt der Regisseur Waller Episoden und Liedgut aus der bunten Geschichte der Hamburger Vorstadt. Gerhard Garbers und Peter Franke tauchen wieder als Gebrüder Wolf auf, dem jüdischen Gesangsduo, von dem das Lied mit dem Tüdelband stammt. Zusammen mit Brigitte Janner und Anja Boche schlüpfen sie in eine Rolle nach der anderen und entführen das Publikum in die Welt des „Amüsemangs“.

Das Tor zu dieser Welt (Bühne: Beatrix von Pilgrim) ist eine zweiteilige Wand, die zunächst wie der eiserne Theatervorhang aussieht, sich aber schnell als vielseitiges Bühneninstrument entpuppt. Durch die Türen in zwei Etagen treten Gestalten wie Klaus Störtebeker, Gesangshumorist Hein Köllisch und ein Offizier der kaiserlichen französischen Armee, der seinen Platz im Panoptikum anmahnt. Mit einfachen Mitteln werden hier Spielsituationen geschaffen, die durch eine sehr direkte Erzählqualität bestechen.

Zwischen den Liedern gibt es etwas Geschichtsstunde. Probleme mit geschlossenen Stadttoren, Franzosenzeit und die Cholera-Epidemie von 1892. Die Jahreszahlen könnten als Handout am Ausgang verteilt werden, doch der Spannungsbogen hält. Ulrich Waller schafft es, erst mit Hamburgensien wie der Zitronenjette zu unterhalten und später mit Schilderungen der Bombennächte Gänsehaut zu erzeugen. Gelingen konnte diese Interpretation des Volkstheaters nur mit den hervorragenden SchauspielerInnen, die sich den langen Applaus verdient haben.

Christian Rubinstein

bis 18.11. (außer 27.10., 6., 10., 11., 17.11.), 20 Uhr, St. Pauli Theater