Uni am Scheideweg

Der CDU-Senat will weg von der Volluniversität und das Angebot eng am Bedarf des Arbeitsmarktes ausrichten. Die Hochschulen versuchen zu retten, was noch zu retten ist

Dräger: „Der Studienplatzabbau orientiert sich am Arbeitsmarkt“

Editorial: EVA WEIKERT

Jetzt wird es ernst: Hamburgs Uni soll sich von ihrer geisteswissenschaftlichen Orientierung verabschieden und keine Volluniversität mehr sein. So jedenfalls will es Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos). Die Zeit der Reformdebatten ist vorbei, nun werden nur noch Verträge über Ausstattung und Geldzuweisungen gemacht.

Eigentlich wollten Uni und Behörde ihre Ziel- und Leistungsvereinbarung für 2005 längst unterschrieben haben. Doch es gibt Streit um den Bedarf, der bis 2012 fixiert wird. Zwar wehrt sich die Uni gegen die Halbierung ihrer Geisteswissenschaften und schaffte es, den mächtigen Hochschulrat auf ihre Seite zu ziehen. Doch Skandinavistik, Vor- und Frühgeschichte und die Pastorenausbildung hat der CDU-Senat per Kabinettsbeschluss schon nach Kiel abgegeben. Droht die Einheits-Uni?

Auch Hamburgs zweitgrößte Hochschule will den Abbau Dutzender Professuren nicht akzeptieren und findet mit der Behörde keinen Konsens. Welche Bereiche an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften bluten müssen, ist indes noch Geheimsache und soll erst nach Vertragsunterzeichnung publik werden. Die Richtung aber ist klar: Dräger will Lehren und Forschen eng am Bedarf der Hamburger Wirtschaft ausrichten.

Keine Gnade vor ihm und dem Rest des CDU-Senats finden die Geisteswissenschaften, deren Studienplätze um 58 Prozent reduziert werden sollen. „Das ist eine politische Entscheidung, die sich an den Chancen auf dem Arbeitsmarkt orientiert, dazu stehe ich“, so Dräger im taz-Streitgespräch mit dem AStA.

Angemahnt hatte den Kahlschlag ursprünglich eine Expertenkommission unter Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD). Umsetzen könnte ihn der Senat, weil bis 2012 die Hälfte der Uni-Professoren in Pension geht. Weil aber schon im vergangenen Jahr der Dohnanyi-Vorschlag, die Geisteswissenschaften zu halbieren, Empörung in der Stadt auslöste, verzichtete das Rathaus damals in einer Leitentscheidung auf den Professurenabbau.

Nun versucht Dräger die Empfehlung durch die Hintertür einzuführen: So will er eine Bedarfsstudie für die Uni, die das Hochschulinformationssystem (HIS) machte, in der Leistungsvereinbarung verankern. Er unterschlägt für seine Planwirtschaft, dass HIS nur die Folgen der Vorgaben erechnet, die er selbst durch seine Hochschulreform festgelegt hat. Drägers Umgang mit der HIS-Studie regte Uni-Chef Jürgen Lüthje so auf, dass er den Senator in der überregionalen FAZ belehrte, die Geisteswissenschaften als Hamburger „Exzellenzbereiche verdienen besondere Pflege“. Die mahnen auch Naturwissenschaftler an: Technik, Management und Industrie „ohne ethische Fundierung“ sind „verantwortungslos“, so Informatik-Dekan Siegfried Stiehl in diesem Heft.

Trotz drohender Streichorgie ist der studentische Protest abgeflaut. Im Sommersemester gab es keine Tortenattacke auf den Senator, keine Studentenstreiks und keine besetzten Redaktionen. Allein die HWP fiel immer wieder auf durch Protestaktionen gegen ihre Auflösung in der Universität – vergeblich. Zum Jahresende wird abgewickelt.

Am 9. November, wenn das Bundesverfassungsgericht die Hamburger Klage gegen das Verbot allgemeiner Studiengebühren verhandelt, könnte der Protest aber wieder aufbranden.