pressschlag : Die wirtschaftliche Aufstellung
Borussia Dortmund sitzt auf einem riesigen Schuldenberg und macht enorme Verluste – die Fans auf der Südtribüne sind mittlerweile Wirtschaftsexperten
Es ist viel von Gelsenkirchen die Rede zurzeit, der westdeutschen Stadt, die irgendwie wie eine ostdeutsche sein soll. Das Wort Strukturwandel wird dann bemüht und festgestellt, dass der in Schalkestadt noch nicht ganz angekommen ist. Im Gegensatz zu Dortmund. Die ehemalige Stahlkocherstadt wird heute gerne als Dienstleistungsstandort bezeichnet. Immer mehr Menschen geben bei der Frage nach ihrem Beruf nicht mehr Steiger oder Pütter, sondern Sachbearbeiter an. Dortmund ist anders geworden. Auch in Religionsfragen hat sich einiges getan. Früher haben die Menschen an Borussia Dortmund geglaubt und für einen Fußballverein gebetet, heute sind sie gezwungen, eine Aktiengesellschaft zu verehren.
Als Borussia vor vier Jahren an die Börse gegangen ist, haben nicht wenige Anhänger der borussischen Glaubensgemeinschaft Wertpapiere zum Startpreis von 11 Euro gekauft. Schon am Nachmittag des Erstausgabetages waren die Aktien viel weniger wert. Heute dümpeln sie bei einem Preis von etwa 2,50 Euro herum, einer Summe, die nicht einmal reicht, um sich in der Fangroßgaststätte „Barrock“ auf dem Weg zum Stadion einen Erbseneintopf zu gönnen.
Auch auf der riesigen Südtribüne im Westfalenstadion macht sich der Strukturwandel bemerkbar. Statt über Fußball wird über Geschäfte gesprochen. Gerüchte kursieren. Über Gerd Niebaum zum Beispiel, der irgendeinem Kumpel, der einmal ein Jeansgeschäft hatte, das Pleite gegangen ist, die Leitung der borusseneigenen Textilmarke goool.de übertragen haben soll. Jeder in der Kurve weiß, was mit dem Wort Schächteranleihe gemeint ist. Eine merkwürdige Stimmung macht sich breit. Haben wir es denn wirklich nötig, uns ausgerechnet von den Bayern helfen zu lassen? Das fragen sich die Fans, nachdem vermeldet wurde, dass der FCB 2 Millionen Euro an den BVB überwiesen hat. Haben die Herren Niebaum und Maier damals nicht gesagt, dass die Borussia sich mit den Bayern auf demselben Niveau befindet? 1997 hat die Borussia die Champions League gewonnen – und Manager Maier sowie Geschäftsführer Niebaum sind nicht müde geworden zu behaupten, dass der BVB eine der besten Adressen in Fußballeuropa ist. Irrwitzige Summen wurden investiert. Doch am Ende stand nicht die beste Mannschaft des Landes auf dem Platz, sondern die teuerste. Seit dem Champions-League-Sieg hat Borussia 126 Millionen Euro an Ablösesummen gezahlt und bei Spielerverkäufen gerade einmal 51 Millionen erlösen können. Jetzt sitzt die Borussia auf einem riesigen Schuldenberg, 118 Millionen, und macht Jahr für Jahr auch noch riesige Verluste, im abgelaufenen Geschäftsjahr 67 Millionen. Kein Wunder, dass sich die Fans in der Kurve nicht mehr über die Mannschaftsaufstellung unterhalten, sondern darüber, wie das von ihnen verehrte Unternehmen wirtschaftlich aufgestellt ist. Es soll schon beobachtet worden sein, dass die Papierschnipsel, die von den Fans zur Begrüßung der Spieler in die Höhe geworfen werden, lachsfarben waren – wie das Papier einer täglichen Wirtschaftszeitung. Der Strukturwandel ist in der Südtribüne angekommen.
Auf Schalke sind die Schnipsel noch weiß. In Gelsenkirchen dauert eben alles ein bisschen länger. ANDREAS RÜTTENAUER