: Die Bücher Péters
Stringent wäre die Seligsprechung: Morgen erhält Péter Esterházy den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Alles, was Sie über seine Bücher wissen müssen, in einer Bibliographie raisonnée
VON MARIA MARTI
„Fancsikó und Pinta“. Geschichten auf ein Stück Schnur gefädelt. („Fancsikó és Pinta“. Budapest: Magvetõ 1976). Aus dem Ungarischen von Zsuzsanna Gahse. Berlin: BVT 2004.
Lausbubengeschichten, Vertreibung aus dem Paradies, Familienkomödie, Familientragödie, Glasperlenspiel, Kalokagathie. In nuce: Harmonia Terrestris – (noch) etwas Ungar.
„Wer haftet für die Sicherheit der Lady?“ Erzählung. („Ki szavatol a lady biztonságáért?“. Budapest: Magvetõ 1982). Aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke. Salzburg: Residenz 1986.
Eine einfache, maximal vertrackte Liebesgeschichte. Pfingstlich, geschrieben in schamlosen Zungen. Genaugenommen: kleine ungarische Pornografie.
„Fuhrleute“. Roman. („Fuharosok“. Budapest: Magvetõ 1983). Aus dem Ungarischen von Zsuzsanna Gahse. Salzburg: Residenz 1988.
Ideal für eine Dichterlesung: Romankonzentrat über die gebrechliche Einrichtung der Welt und die erstaunliche Widerstandskraft des Menschen. 32 Seiten, grausam und betörend wie ein Märchen.
„Kleine ungarische Pornographie“. („Kis Magyar Pornográfia“. Budapest: Magvetõ 1984). Aus dem Ungarischen von Zsuzsanna Gahse. Salzburg: Residenz 1987.
Niemand ist auf so unpolitische Weise politisch, auf so pornografische Weise poetisch, auf so unverschämte Weise unschuldig, auf so unschuldige Weise unverschämt etc.
„Die Hilfsverben des Herzens“. Roman. („A szív segédigéi“. Budapest: Magvetõ 1985). Aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke. Salzburg: Residenz 1985; Frankfurt: Suhrkamp 2004.
Das Buch des Abschieds (von der Mutter). Beispielhafte Hilfskonstruktion für das Leben mit dem Tod: Man besitzt keinen monochrom schwarzen Schlips. Wird man gezwungen, sich einen zuzulegen, ist er ad symbolum von solcher Scheußlichkeit, dass er voll Todesverachtung Binder genannt werden muss. Der vitale Vorsatz, sich seiner bei allernächster Gelegenheit ein für alle Mal zu entledigen, misslingt ein für alle Mal. Der Binder avanciert zum ständigen – vermöge unteilbarer, ins Unendliche reichender Scheußlichkeit – Unsterblichkeit suggerierenden Begleiter im Todesfall.
„Das Buch Hrabals“. Roman. („Hrabal Könyve“. Budapest: Magvetõ 1990). Aus dem Ungarischen von Zsuzsanna Gahse. Salzburg: Residenz 1991; Berlin: BVT 2004.
Hommage an den tschechischen Dichter Bohumil Hrabal, freundschaftliches Kräftemessen mit Gott – unter Schöpfern. Eigentlich: das Buch Annas. Was für eine hinreißende Frau! Einem ihrer schöpferisch anarchischen Kochakte entspringt ein himmlischer Lendenbraten, der in seiner Vollkommenheit vertilgt ist, bevor die Gäste kommen. Seine beglückende Existenz können nur zwei Menschen bezeugen, den Gästen bleibt das Numinose: „Das Nichtvorhandene, das Versprochene, das beinahe Eintretende, die phantastische Möglichkeit.“ Großartige Autoallegorie eines sich in der Verschwendung entziehenden Werkes von virtueller und real existierender Üppigkeit – den alleinseligmachenden Esterházy-Rostbraten, es gibt ihn doch.
„Donau abwärts“. Roman. („Hahn-Hahn grófnõ pillantása“. Budapest: Magvetõ 1991). Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki. Salzburg: Residenz 1992.
Confession eines Donaureisenden: „Was mich betrifft, so ängstigen mich Aphorismen, mich ängstigen Sätze mit dem erkennbaren Ehrgeiz, die Wahrheit zu enthalten.“ Angst kann lähmen. Besser, man entzieht sich ihr durch Flucht nach vorne. So also wird Péter Esterházy – en passant, lässig, Locken schüttelnd, auf Reisen etwa, auch und gerade in Heidegger’schem Hoheitsgebiet, Donaueschingen abwärts – zu einem Aphoristiker sui generis, d. h. gänzlich immun gegen den Ehrgeiz zur Wahrheit: „Es ist elend schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt.“
„Eine Frau“. („Egy nö“. Budapest: Magvetõ 1993). Aus dem Ungarischen von Zsuzsanna Gahse. Salzburg: Residenz 1996; Berlin: BVT 2002.
97 Liebesgedichte in Prosa. Der Komparativ von Péter ist Pétrarca.
„Thomas Mann mampft Kebab am Fuße des Holstentors“. Geschichten und Aufsätze. Aus dem Ungarischen von Zsuzsanna Gahse. Salzburg: Residenz 1999.
1. Juni, Pacific Palisades: „Mein Monat. 8 Uhr auf, gedoucht. Kaffee und Oat Meal gefrühstückt. […] Nachmittags wieder im Buch des Ungarn, von dem nun alles redet. Anekdotisch Essayistisches. Bis zur Erheiterung erstaunt, dass ich den skandalösen Titel als anregend, sogar schmeichelhaft empfinden kann. Ein Schelmenstück von beträchtlicher Kühnheit. Dabei einige Unklarheit über das sogenannte ‚Kebab‘. –– Die Erinnerung, dass man nicht allein ist auf der Welt, immer unangenehm. Sein eigentliches Hauptwerk soll ein Familienepos größeren Stils sein. Über reichlichen Stoff kann dieser Spätling leicht entwurzelten Hochadels immerhin disponieren. In diesem Bande einiges Hübsche von liederlicher Lässigkeit. Ein blaublütiger Zigeunerbaron auf dem grünen Wagen. Anziehend vielleicht auch das Puerile seiner durchaus kosmologischen Weltbetrachtung. Er ist Mathematiker, wie ich hörte, musste an Einsteins blanke und kugelrunde Kinderaugen denken. […] Der Pudel geschoren. […]“
„Harmonia Cælestis“. (Budapest: Magveto 2000). Aus dem Ungarischen von Terézia Mora. Berlin: Berlin Verlag 2001, BVT 2003.
Opus magnum. Diese himmlische Länge! Wie alles Große gattungssprengend. Weltliteratur Nationalepos, Familienchronik, Vaterdenkmal. Unbedingt friedenspreiswürdig, stringent wäre die Seligsprechung.
„Verbesserte Ausgabe“. („Javított kiadás – melléklet a Harmonia cælestihez“. Budapest: Magveto 2002). Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki. Berlin: Berlin Verlag 2003, BVT 2005.
Die Zurücknahme der 9. Sinfonie. Anstelle des Satyrspiels die Tragödie: die Entdeckung der Schuld (des Vaters). Akribische Auseinandersetzung mit den Akten des Geheimagenten Mátyás Esterházy. Dokument des Schmerzes und Exempel der Aufklärung. Seligsprechungen sind unwiderruflich.