: Flüchtlinge obdachlos
Norwegen entzieht abgelehnten Asylbewerbern jeglichen Zugang zu Sozialhilfe und staatlichen Wohnunterkünften
STOCKHOLM taz ■ Eine Anfang des Jahres eingeführte Verschärfung der norwegischen Asylpraxis hat zu teilweise dramatischen Folgen geführt. Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt worden ist, die aber gleichzeitig nicht in ihre Heimat abgeschoben werden können, da ihre Identität nicht bekannt ist oder sie keinen Pass haben, müssen seither – soweit es nicht Familien mit Kleinkindern sind – die Asylunterkünfte verlassen und erhalten keine Sozialhilfe mehr. Betroffen sind davon mittlerweile 400 bis 600 Personen. Viele übernachten nun in Parks, Bahnhöfen und Hauseingängen. Ihren Lebensunterhalt versuchen sie mit Betteln zu sichern, sie durchwühlen Mülltonnen oder sie stehlen sich Lebensmittel in Supermärkten.
Bislang hatte diese Personengruppe die gleichen Rechte wie neu ins Land gekommene Asylsuchende. Doch die Regierung war der Meinung, dass ein Großteil der Flüchtlinge ihr Abschiebehindernis selbst verursachen, indem die Menschen ihren Pass wegwerfen oder ihre wahre Identität verschweigen, und griff zu dieser Radikalmethode.
Norwegens christdemokratische Regierung hat in den letzten Jahren ihr Bestes getan, die nach wie vor umlaufende Vorstellung, das Land habe ein liberales Asylrecht, endgültig auszulöschen. Obwohl die Zahl der Asylsuchenden im letzten Jahr um 11 Prozent auf 15.600 Personen zurückgegangen war, ist unter dem Eindruck von Kommunalwahlerfolgen und blendenden Umfrageergebnissen für die fremdenfeindliche „Fortschrittspartei“ die Angst aller Parteien gewachsen, mit zu viel Verständnis für Asylsuchende Stimmen zu verlieren.
Mit ihrer neuen Politik, Asylsuchende obdachlos zu machen, scheint die Regierung nun aber doch über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Nach ersten Medienreportagen, in denen geschildert wurde, in welch desperate Lage viele der Flüchtlinge gebracht worden sind, mehren sich Stimmen, die es als Schande bezeichnen, wie das wohlhabendste Land Europas diese Menschen behandelt. Die Politik müsse revidiert werden, bevor im Winter Erfrierungstote zu beklagen seien.
Nachdem sich zunächst aus kirchlichen Zusammenhängen Gruppen gebildet haben, die den Ausgestoßenen zu helfen versuchten, reagierten jetzt auch erste KommunalpolitikerInnen. Die Stadt Trondheim weigert sich mittlerweile, die neuen Richtlinien umzusetzen. Kommentar von Innenministerin Erna Solberg: Trondheim wolle wohl das „größte somalische Dorf“ werden.
Ein Teil der Opfer dieser neuen Asylpolitik ist nach Schweden geflüchtet. Dort hält Måns Nyberg, der Stockholmer Informationschef des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR, mit seiner Kritik nicht hinterm Berg: „Wir sind der festen Meinung, dass auch abgelehnte Asylbewerber in Norwegen ein Recht auf eine Wohnung und Essen haben müssen.“ Ministerin Solberg reagierte am Dienstag mit einer Presseerklärung, in der sie dem UNHCR ganz einfach den Mund verbieten will: Personen, deren Asylverfahren abgeschlossen ist, gingen „das UNHCR überhaupt nichts an“. REINHARD WOLFF