: Sinnestäuschungen
Zu Besuch bei einem Verblüffungskünstler
von GABRIELE GOETTLE
Magister Ludwig Gantner, Verblüffungskünstler. 1969 Einschulung in die Wiener Volksschule i. d. Pharusgasse. 1973 Übergang z. Gymnasium Theresianum Wien 1981 Matura daselbst. 1981–1987 Studium d. Rechtswissenschaften a. d. Universität Wien, Abschluss Mag. jur. 1979 nach e. Prüfung Aufnahme i. d. „Vereinigung Magische Kunst Wien“, als damals jüngstes Mitglied (heute künstlerischer Leiter). 1981 Dritter Preis bei einem Zauberwettbewerb, Beginn d. regelmäßigen Auftrittstätigkeit. 1982–1986 insges. 14 verschiedene Preise bei Wettbewerben. 1987 Österreichischer Meister i. Kartenmagie. Seit 1990 ständiger Freier Mitarbeiter beim ORF (als Fernsehjournalist), seit 1997 Gerichtsreportagen: Schauplatz Gericht. 1997 Grand-Prix-Sieg als: bester österreichischer Zauberer aller Sparten. Seit 1999 Mitherausgeber einer Fachzeitschrift f. Zauberer („Allerdings“), Beiträge i. zahlr. magischen Fachzeitschriften. Veranstalter v. Seminaren f. Zauberer (letztes Seminar: ZIB 3, Festspielhaus Bregenz); Hersteller einer Seminar-DVD f. Zauberer. In Vorbereitung: Seminar f. „Psychologie in der Zauberkunst“. Ludwig Gantner wurde 1962 als Sohn eines Patentanwaltes i. Wien geboren, seine Mutter arbeitete als Kanzleigehilfin mit. Herr Gantner ist ledig und lebt in fester Gemeinschaft mit der Mutter seiner beiden Kinder.
Herr Gantner wohnt im 14. Wiener Bezirk Penzing, in der Hadikgasse, die man sich aber nicht als Gasse vorstellen darf, sondern als eine mehrspurig befahrene Ausfallstraße, die sich endlos und unwirtlich am gemauerten und zu dieser Jahreszeit fast leeren Kanalbett des Wienflusses entlangzieht. Vor dem mehrstöckigen alten Mietshaus, in dem wir verabredet sind, steht ein staubiger Nussbaum. Die Schilder der Ärzte und Psychiater hingegen, die neben der Eingangstür befestigt sind, wirken wohl poliert. Den zierlichen, in einem Drahtverhau auf- und abfahrenden Aufzug aus dem ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts ignorieren wir und steigen zu Fuß bis zum Dachgeschoss hinauf, wo uns der Verblüffungskünstler freundlich empfängt und in eine gediegene Wohnung bittet.
Der Raum, in den er uns führt, hat einen Kamin. Er ist spärlich möbliert, unter anderem mit einem eleganten hohen Zimmerbrunnen in Form einer grün-weiß marmorierten steinernen Stele, von der mit leisem Plätschern das Wasser herabrinnt. Daneben ist ein großer, kahler Computerarbeitsplatz. Die Fenster und Glastüren des Raumes führen nach hinten hinaus, auf eine unbenutzt wirkende Terasse, von der aus man in der Ferne das grüne Kuppeldach der Wagnerkirche in der Irrenanstalt Steinhof sehen kann. Wir nehmen in gut gearbeiteten Ledersesseln Platz. Unser Gastgeber bietet uns Kaffee an und einen kleinen Imbiss aus dezent belegten Brötchen, den er vorbereitet hat.
Nichts erinnert hier an Magie und Hokuspokus, kein Zauberstab liegt herum, kein weißes Kaninchen kommt vorbei, wir fangen an, uns Sorgen zu machen, und fragen vorsichtshalber nach den historischen Ursprüngen der Zauberei. Herr Gantner blickt auf seine sicherlich sehr geschmeidigen Hände und erzählt: „Die Zeiten, wo die Zauberer mit Frack und Zylinder aufgetreten sind, die sind vorbei, das macht heute keinen Sinn mehr. Der Zylinder war bei der Salonzauberei ein ganz alltägliches, normales, elegantes Kleidungsstück, und wenn man daraus ein Kaninchen herauszieht, dann war das motiviert, aber heute trägt ja kein Mensch mehr einen Zylinder, und deshalb wirkt das unmotiviert. Heute schau ich, wenn ich zaubere, dass ich zeitbezogene, alltägliche Dinge nehme: Computer, Eiswürfel, Trinkhalme … Hüte sind vollkommen out!
Und kulturgeschichtlich gesehen ist die Zauberei oder die Magie wahrscheinlich eine der ältesten Kunstformen und psychologischen Techniken; Priestermagie ist schon sehr alt. Es gab berühmte Zauberer, der älteste Hinweis auf einem Pergament berichtet von Dedi, 2700 v. Chr, der enthauptete Tiere wieder zusammengefügt haben soll. Andere ägyptische Zauberer beherrschten den Trick mit Schalen und Kugeln, die hin und her wandern, um dann zu immer größeren Kugeln zu werden. Und das alte Testament berichtet von den Magiern der ägyptischen Pharaonen, dass sie Stöcke bei sich getragen und sie in Schlangen verwandelt hätten. Sehr alte Traditionen haben meines Wissens auch die Inder, die Chinesen. Die Kunst ist ja auf den üblichen Wegen nach Europa gekommen, und es hat dann in Europa eine eigene Tradition gegeben … Wo ich persönlich jetzt ein bisschen aufbaue, ist das 17., 18. Jahrhundert, Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, das sind die Quellen, die mir bekannt sind. Ich kann Ihnen auch authentische Bücher aus dem 19. Jahrhundert zeigen, wie das ausgeschaut hat. Die Entwicklung ist mit der technischen Revolution fortgeschritten – die damals für die Zeitgenossen auch schon ausgeschaut hat wie Zauberei. So ein Telefon, einen Zeppelin … das musste man überbieten.
Im letzten Jahrhundert hat sich die Zauberei meiner Meinung nach in den vergangenen 30, 40 Jahren besonders stark entwickelt. Die Zauberei ist zu einer richtigen umfangreichen Wissenschaft geworden, es gibt derart viel Literatur … ein Kollege sagte mir mal, es ist nach der Medizin die Fachdisziplin, über die am meisten geschrieben wurde – und das liegt vielleicht auch nicht zuletzt daran, dass die Magie und andere Geheimwissenschaften, wie Alchimie und Astrologie, ja die Wurzeln der Wissenschaften sind. Man kann sagen, dass der Level bei den Fachbüchern heutzutage sehr hoch ist. Die Bücher werden ja von den Zauberern selbst geschrieben, und es gibt eigentlich nur wenige, die sich wirklich gut auskennen und sagen können, dann und dann wurde der und der Griff so und so gemacht, und in diesem bestimmten Buch steht die Beschreibung der Erweiterung dieses Griffs.
Heutzutage ist es relativ leicht, Sachen zu lernen, die früher professionelle Nummern waren, es gibt Zaubergeschäfte, in denen jeder alles Mögliche kaufen kann, die Geheimniskrämerei ist viel geringer. Als ich so elf, zwölf war und gerade dabei, so richtig loszulegen, irgendwo Literatur zu finden, gab’s nur so kleine Büchlein auf dem Markt, ‚Perlen-Reihe‘, die aus heutiger Sicht sehr schlecht sind. Trotzdem habe ich mit rumgespielt, es gab ein einziges Zaubergeschäft in Wien, die ‚Zauberklingel‘. Heute gibt es große Firmen für den professionellen Bedarf, die vertreiben weltweit, auch übers Internet, und, wie gesagt, es gibt sehr viel Literatur.
Der erste Zauberer, der die Zauberei in Lehrbüchern wissenschaftlich abgehandelt hat, war ein Franzose, Robert Houdin. Sein ‚Les secrets de la Prestidigitation et la Magie‘ hat er 1868 veröffentlicht. Er war von Beruf Uhrmacher und wurde erst mit 40 Jahren ein Zauberer. Seine mechanischen Erfindungen haben die Zauberei enorm revolutioniert – es war ja früher so, dass die Zauberei sehr eng verbunden war mit der Uhrmacherkunst, der Herstellung von komplizierten Automaten – er war übrigens ein großer Sammler solcher Trickautomaten. Er hat die Kunst auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt, und insofern war er ein Aufklärer, wie viele Zauberer, er hat auch die Spiritisten öffentlich überführt. Also, die Magie wurde aus der Ecke Spuk und überirdische Kräfte geholt und zur Kunst erklärt, zu einer Kunst, die es versteht, Sinne zu täuschen. Houdin ist der ‚Vater der modernen Magie‘, und er hat weitweiten Einfluss gehabt. Der amerikanische Zauberer Houdini, er war der berühmteste Entfesselungskünstler Anfang des vorigen Jahrhunderts und auch Gegner des Spiritismus, hat sich nach Houdin benannt.
In Europa hat es immer wieder Zauberer gegeben, die was grundlegend Neues eingeführt haben. Wien war da auch ein guter Boden, es gibt sogar Gassen, die nach Zauberkünstlern benannt sind: Döblergasse, dann eine Hofzinsergasse im 8. Bezirk. Johann Nepomuk Hofzinser ist 1875 gestorben, er hat als größter Kartenkünstler der Welt gegolten und war der Erfinder der ‚Salon-Magie‘, also dem Zaubern vor geladenen Gästen, eleganten Abendgesellschaften. Es gab ja davor schon die Hofzauberer, die Hoftaschenspieler, zum Beispiel hatte August der Starke mehrere. Es gab ja immer das ganze Spektrum bis hinunter zum Jahrmarktzauberer, Taschenspieler oder auch Trickbetrüger, wie die Hütchenspieler, die dann der Sache etwas Schmieriges, Unseriöses gegeben haben und einen schlechten Ruf.
Und man könnte natürlich darüber reden, dass es ‚Frontzauberer‘ gegeben hat im Weltkrieg. Truppenbetreuung hieß das, die Unterhaltung der Truppen an der Front zwischen den Einsätzen. Es gab in Wien einen netten Herrn, der hat später dann auch sehr viel mit seiner Handpuppe Strolchi für Kinder im Fernsehen vorgespielt, der nannte sich Bobby Lugano, Luftschutzgau Nord, glaube ich, hat das geheißen. Und auch der berühmte deutsche Zauberer Kalanag hat Truppenbetreuung gemacht. Kalanag, das war ungefähr der David Copperfield der Nachkriegszeit, er hat nicht wie Copperfield die Freiheitsstatue verschwinden lassen, sondern ein Auto von offener Bühne zum Beispiel, er war ein großer Illusionist. Er war auch der Präsident des ‚Magischen Zirkels Deutschlands‘, das ist die traditionelle Zauberervereinigung, 1912 gegründet, glaube ich. Sie vergibt den Kalanag-Ring zur besonderen Auszeichnung von Zauberern.
Gerade jetzt im Juli war übrigens der Weltkongress der Zauberer in Den Haag – alle drei Jahre gibt es eine echte Weltmeisterschaft der Zauberer, da werden in allen Sparten die Weltmeister gekürt, die Deutschen haben übrigens vollkommen zu Recht sechs Preise gemacht. Die Amerikaner dominieren ziemlich im Moment … auf diesem Gebiet.
Ich habe ja schon an allen möglichen und unmöglichen Wettbewerben teilgenommen, aber noch nie an einem Weltkongress. Das ist eine sehr anspruchsvolle Angelegenheit, ich müsste mich zwei bis drei Jahre vorbereiten, und im Moment geht’s nicht, weil ich ja zwei kleine Kinder habe und die Arbeit beim ORF für den ‚Schauplatz Gericht‘, was so eine Art Hauptberuf ist derzeit. Aber Sie möchten ja etwas hören über meine Zauberei, was ich da tu, hauptsächlich. Ich gehe zu irgendwelchen Veranstaltungen und zaubere für kleine Gruppen von Leuten, den ganzen Abend, direkt vor ihren Augen. Sie können mir direkt auf die Finger schaun, ‚Close up‘ wird das genannt, ich nenne es lieber etwas altmodischer ‚Mikromagie‘, Das ist eine Sparte.
Es gibt acht Sparten innerhalb der Zunft. Da wäre mal die ‚Manipulation‘, wo man auf der Bühne technisch anspruchsvolle Sachen macht; dann die ‚allgemeine Magie‘; die ‚großen Illusionen‘ mit Kisten, mit Tänzerinnen, und meistens wird eine Assistentin durchbohrt oder zerstückelt und wieder zusammengezaubert; in der ‚Mentalmagie‘ gibt man vor, die Gedanken des Zuschauers lesen zu können; die ‚Comedy Magic‘ zeigt humorvolle Zauberei; und dann gibt’s, wie gesagt, die ‚Mikromagie‘, und zu ihr gehört auch die ‚Kartenmagie‘; dazwischen liegt noch die ‚Salonmagie‘ oder ‚Vortragszauberei‘, da muss man so für 50 bis 100 Leute zaubern und die Aufmerksamkeit mindestens eine halbe Stunde halten. Und die Kinderzauberei ist auch eine eigene Sparte. Das ist übrigens sehr schwer, Kinder sind ein sehr ehrliches Publikum, sie haben ja keinerlei Genierer, sie wollen unbedingt wissen, wie’s geht, und wenn man die Aufmerksamkeit nicht halten kann, steht eins vielleicht auf, geht zum Tischchen, auf dem man die nächste Nummer vorbereitet hat, und schaut, was das ist.
In der Regel aber ist es ganz leicht mit Kindern, trotzdem vertrete ich die Ansicht, dass die Qualität der Zauberei stimmen muss, dass die Tricks auch wirklich verblüffend sein müssen und nicht nur unterhaltsam. Die Kinder sind natürlich leidenschaftlich an Zauberern interessiert, sie kennen den Zauberer Albus Dumbledore aus dem Kinderbuchbestseller ‚Harry Potter‘, jede Generation hat ihren Zauberer, entweder Gandalf aus ‚Herr der Ringe‘, Merlin aus dem Disney Film, oder den Zauberer von Oz zum Beispiel.
Bei mir war der Auslöser ein Mitschüler im Gymnasium, ich war zehn. Er hat ein Seidentuch in seine Hand gestopft, und es war weg. Ich wollte natürlich unbedingt wissen, wie das geht. Er hat es mir sogar verraten und mir das Tuch geborgt. Von dem Moment an wollte ich nur noch Zauberer werden. Ich bin zur ,Zauberklingel‘ gegangen, in das Geschäft, das ich erwähnte, und hab versucht, für meine 20, 30 Schillinge, die ich hatte, irgendwas zu kaufen. Aber die Tricks haben damals so ab hundert Schilling aufwärts gekostet, das sind etwa 15 Mark, eine Menge Geld. Ich habe dann die einfachen Sachen erst mal erworben und viel gelesen.
Ein Nebenprodukt meiner Bemühungen war, dass ich ganz gut Englisch gelernt habe dabei, weil die meisten Zauberbücher in Englisch waren. Im ersten Schuljahr hab ich einen Dreier gehabt, dann war ich in den Ferien in den USA, habe dort 4, 5 Zauberbücher gekauft – die gibt es dort in jedem Buchgeschäft, weil das Zaubern ein Volkssport ist in Amerika, jeder kann aus dem Stehgreif mindestens zwei Tricks vorführen – ja, und die Bücher hab ich dann mit dem Wörterbuch hier zu Hause gelesen, und mit 12, 13, war ich der Beste meiner Klasse in Englisch. Und natürlich war auch mein Wissensstand in den Zaubertechniken entsprechend groß, denn da gab’s ja auf dem deutschsprachigen Markt kaum Literatur.
Zu meinem 16. Geburtstag habe ich damals den ‚Table course in magic‘ bekommen. Das ist eine siebenbändige Reihe, eine Art Bibel der Zauberei – heute allerdings schon etwas verstaubt – und da habe ich jeden der 7 Bände, ich glaube 17-mal gelesen. Ich war in einer Bubenschule, habe drei jüngere Brüder und war diesbezüglich von den ganzen Wirrungen, die man so hat in der Pubertät, verschont. Ich habe einfach sehr viel meiner Zeit auf die Zauberei verwendet. Das mit den Mädchen kam erst viel später. Mit 16 bin ich dann in einen Zauberclub gegangen. Nach einem Jahr habe ich die Aufnahmeprüfung gemacht bei der ‚Vereinigung für Magische Kunst Wien‘ und wurde dort jünstes Mitglied. Es gibt fünf Zauberclubs in Wien, meiner ist ein Traditionsclub, der wurde so um 1916 rum gegründet. Dort trifft man sich unter Kollegen, es werden neue Tricks besprochen, Seminare werden abgehalten, und man gibt auch Gästeabende, wo vor Laien gezaubert wird. Es gibt natürlich einen Präsidenten, der ist ja in Österreich sehr wichtig, der Titel, einen Vizepräsidenten usw., und eine gewisse Vereinsmeierei. Aber es entstehen doch ganz gute Sachen, und auch der Nachwuchs wird gefördert.
Mit 18, ich hatte gerade die Matura gemacht, hat es geheißen, der Herr Gartlgruber ist gestorben – sein Sohn war ein Bekannter meines Vaters –, und es gab dann Auseinandersetzungen zwischen den Erben. Er hatte eine liebevoll zusammengestellte Sammlung von Zauberbüchern und Gegenständen, es war unglaublich viel, tolle Sachen. Ich habe das dann damals gekauft, um 30 oder 40.000 Schilling – die mir meine Eltern ausgeborgt haben –, das war ja unheimlich viel Geld für mich. Ich hab dann alles katalogisiert, geputzt, bei manchem musste ich ältere Kollegen fragen, was es ist. Aber insgesamt hatte ich ja schon durch mein ganzes Bücherstudium einen guten Überblick über die Wurzeln der früheren Zauberei. Ich hab mich dann entschlossen, nur die Büchersammlung zu behalten. Alles andere, das gesamte Glumpert, habe ich dann bei einem Zauberkongress verkauft und habe über 100.000 Schilling erlöst, hab meine Eltern ausgezahlt und so ein Supergeschäft gemacht, besonders wenn man bedenkt, dass ich den für mich wertvollsten Schatz behalten habe, die Bücher. Die kann einen wirklich begeistern, die gesamte Zauberei. Es ist eine absolute Sucht, sogar das Üben macht wirklich Spaß, weil man sieht, man macht Fortschritte.“
Wir bitten um eine kleine Demonstration. Er nimmt ein bereitliegendes Kartenspiel, lässt die Karten mit einem ratschenden Geräusch durch die Hand gleiten und sagt: „Ich zeige Ihnen die ‚Helikopterkarte‘, sagen Sie irgendwann STOPP! Gut, nun merken Sie sich die Karte, ich werde jetzt die Karte aus dem Spiel herausspringen lassen, sie sollte sich siebenmal um die eigene Achse drehen und dann zwischen diesen beiden Karten hier landen.“ Genauso geschieht es, es war und blieb Herz-Ass.
„Daran habe ich relativ lange geübt. Das Üben des Tricks ist die eine Seite, und die andere ist die Psychologie. Die Leute sind ja misstrauisch, und ich kann mir natürlich denken, in welchem Augenblick genau sie sagen: Na Moment! Jetzt hat er was ausgetauscht. Diesen Moment darf ich auf keinen Fall unterschlagen, indem ich es zu gut mache, sonst wird’s schnell langweilig. Wenn sie dann bei sich denken, ah, jetzt habe ich genau gesehen, da war was, das ist dann genau der Augenblick, wo sie wissen, es war nur ein Trick, und mir wieder in die Augen schauen – und das ist der Moment, wo es dann wirklich passiert. Mehr verrate ich nicht. Und das Zweite ist, dass ich mich selber nicht übermäßig ernst nehme, also, ich halte die Waage, ich bin nicht unseriös, und ich verblödel nichts, bleibe nur ein bisschen schelmisch. Es gibt Techniken, Personen, die stören, Alkoholisierte oder notorische Angeber, vor dem Publikum lächerlich zu machen. Das ist aber nicht sehr sympathisch.
Ich habe bei vielen Veranstaltungen die Erfahrung gemacht, dass es nicht sehr geschätzt wird, der Zauberer soll ja keinen fertig machen, sondern eine gute Stimmung verbreiten. Fertig gemacht werden die Leute ja alltags schon genug. Und was ich eben meistens mache, das ist so eine Art Produktpräsentation. Wir werden seit einiger Zeit durchaus ernst genommen als Partner der Industrie, als Geschäftspartner. Und da muss man eben mehr machen, als nur zaubern. Wenn man als Profi arbeitet, dann geht es nicht nur um Selbstverwirklichung. Ich mache mir Gedanken darüber, wie verknüpfe ich die Nummer mit der Firma, dem Produkt, um das es geht.
Sie müssen sich das so vorstellen: Da sind 10, 12 Tische mit Gästen, Kunden der Firma, ich werde an jedem Tisch 10 Minuten verbringen mit Zaubern. Erst mal muss ich schaun, dass ich nicht beim Essen störe, muss also versuchen, bevor das Büfett eröffnet wird, was zu machen, denn sonst ist es zu spät, alle Aufmerksamkeit gilt dem Büfett. Den Rest mache ich dann später, wenn sie fertig gegessen haben. Manche essen irrsinnig langsam, andere stehen dauernd auf und holen sich noch was. Wenn ich dann einen Tisch sehe, der sich einigermaßen konsolidiert hat, dann kann ich arbeiten. Ich frage dann natürlich auch immer, wo sitzen die Chefs? Da ist Vorsicht geboten. Die Spitzenmanager haben oft nicht dieselbe menschliche Größe wie ihre Untergebenen … also, die haben große Mühe, über sich selber zu lachen.
Solange ich sehe, die sprechen, die sind im Stress, da gehe ich gar nicht hin. lch gehe erst zwischen Hauptspeise und Nachspeise hin, wenn das Blut im Magen angekommen ist und die Herren schon ihren Wein getrunken haben. Ich habe da beispielsweise … warten Sie bitte einen Moment … so, hier habe ich diese roten kleinen Schaumstoffbällchen, und ich sage zu den Gästen in etwa: Die Geschäftsleitung hat mich gebeten, nicht zu stören, aber da sind diese gefährlichen australischen Springbälle, und man hat mich gebeten, die zu entfernen … Im allerersten Moment hören sie gar nicht richtig zu, denken, ich bin der Saalordner, und nicken zerstreut. Dann sage ich: Entschuldigung …“, er zieht bei uns aus den Ärmeln, unterm Arm und sonstwo überall kleine rote Bällchen heraus und steckt sie ein. „Also, ich bin ganz normal angezogen, elegant gekleidet, wie ein normaler Gast, die ersten 10 Sekunden sind entscheidend, ich muss die Leute zum Lachen bringen. Nach zwei bis drei Sekunden kommt meist der Erste dahinter, dass ich Zauberer bin, sie sagen: Aaaahh!! und lachen.
Wenn keine Damen dabei sind, ist es für mich viel schwerer. Ich arbeite viel mit der Technik des Annickens. Kennen Sie das? Es ist eine Verkäufertechnik: Wenn man fragt und gleichzeitig nickt, dann nicken die Leute mit, automatisch. Na, sehn Sie, es wirkt, hochgezogene Augenbrauen, direkter Blick, nickender Kopf, das schafft Einverständnis. Es gibt so ein paar Regeln der Zaubertheorie oder Illusionstheorie. Auch dass die Leute immer dorthin schauen, wo man selbst hinschaut. Das heißt, sie schaun mir in die Augen, weil ihre Mutter ihnen beigebracht hat, den Menschen, die mit einem reden, in die Augen zu schaun.“ Er zieht überall die roten Bälle hervor, zehn Stück oder mehr, gibt uns je einen in die Hand und „zaubert“ sie aus der geschlossenen Faust weg. Allmählich wird man eher sauer. Wir wissen schon, weshalb er Zauberer werden wollte als Kind. „Und dann habe ich zwei bis drei besonders starke Tricks, die hebe ich mir für die besten Tische auf, da sitzen dann auch Leute, die beim nächsten Engagement etwas mitzureden haben. Es gibt einen Trick mit einer Zitrone und einem Geldschein, wenn die Nummer aufgeschrieben und ein Eckerl abgerissen ist, zaubere ich, und er ist nachher plötzlich in einer Zitrone drin, in einer unversehrten Zitrone. Ein sehr schöner Trick für Banker. Aber das Wichtigste ist wirklich auch die Psychologie, der Zauberer hat weniger Angst davor, dass ihm die Tricks gestohlen werden, als dass ihm die Pointen gestohlen werden, der psychologische Aufbau der Nummer. Es ist ja nicht nur die Manipulation mit den Fingern, die ich beherrschen muss, sondern viel mehr noch die Manipulation des Publikums. Das sind Techniken, die lernt man in Seminaren. Dass es dieselben Seminare und Techniken auch für Politiker und Geschäftsleute gibt, macht mir allerdings Bedenken.“
Er stellt ein abgewetztes Papierkästchen vor uns hin und bittet uns, es gut im Auge zu behalten, er will einen Kartentrick zeigen. Nachdem wir zur späteren Identifizierung unsere Namen auf den Rand einer Pik-Dame-Karte geschrieben haben, lässt er sie im Kartenspiel verschwinden, wieder auftauchen als oberste Karte, macht dies und jenes, bis er uns auffordert, ins Kästchen zu schaun, das die ganze Zeit unter unserer strengen Obhut war. Sie liegt zusammengefaltet drin, wie auch immer sie – oder es – dahin gekommen sein mag. „Der Kartentrick setzt eine ganze Menge Routine voraus und ist ohne Übertreibung das Resultat von mehreren Jahren Arbeit, er ist ein Klassiker und heißt ‚Die ehrgeizige Karte‘. Dabei wandert eine Karte im Stapel immer wieder nach oben, nach hunderten von Methoden, von denen ich 7, 8 benutze und zusammen mit dem Kästchen, zu meiner eigenen Methode mache. Wobei die Karte natürlich an jedem anderen Ort wieder auftauchen kann, in irgendeiner Brieftasche oder sonstwo.“
Wir gehen nach nebenan, in sein Zauberkabinett. Der Raum ist hell und hoch. Oben ist eine kleine Galerie mit Bücherregal, unten dominiert ein großer Spiegel zum Üben der Kunststücke. Daneben steht ein assistierendes Zaubertischchen nebst Videokamera. Hinter den Glastüren des alten Bücherschrankes sind die ledernen Buchrücken der Zauberbuchsammlung zu sehen.
„Ich bin ein großer Freund von Büchern“, sagt der Verblüffungskünstler, „schon deshalb, weil alle Tricks, die auf Video, DVD oder im Internet kursieren, alle Welt kennt.“ Er zeigt uns eine große, hölzerne Kommode, öffnet die Schubladen, zwölf an der Zahl. Drinnen findet sich ein ziemliches Chaos, bestehend u. a. aus bunten Seidentüchern, Seilen, Schnüren, Stricken, Würfeln aller Größen, roten Bällchen, einem hohlen Daumen zum Aufstecken. Kleine Stapel noch verschweißter Kartenspiele liegen bereit. Es gibt einen gepackten Zauberkoffer für die Reise, der könnte auch Gepäckstück eines Weihbischofs sein, und was sind das für Gefäße?
„Das sind Becher“, sagt Herr Gantner, „für einen meiner Lieblingstricks. Den kann ich Ihnen jetzt aber aus verschiedenen Gründen leider nicht zeigen. Es erscheinen in diesen Bechern Stahlkugeln, auch solche, die man eigentlich gar nicht hineinkriegen würde, von der Größe her. Das ist der Gag. Es ist das klassische, sehr alte Becherspiel. Es gibt ja sehr viele Tricks, die auf alten Erfindungen und Entwicklungen aufbauen. Insgesamt hat sich die Technik stark verbessert. Die USA ist zum Beispiel sehr gut, was ‚große Illusionen‘ betrifft.
Sie haben aber einen anderen Vortragsstil, der bei uns unüblich ist. Sie reden unheimlich viel und unheimlich schnell, machen auch viele Witze dabei. Es ist so eine ihnen eigene Comedy-Kultur, die man in Deutschland, das ist auffällig, immer mehr übernimmt – ob’s nun passt oder nicht, am laufenden Band. Die Europäer sind eher etwas langsamer, hudeln nicht so, haben den eher klassischen Stil. Die Zauberei selbst steht ein bisschen mehr im Mittelpunkt. Dann sind die Asiaten natürlich sehr im Kommen. Aber was sich noch immer kaum geändert hat: Die Zauberei ist eine fast reine Männerdomäne.
Ich will noch mal auf die Produktpräsentation zurückkommen, denn Hochzeiten, Firmenfeiern usw. sind der Zaubereralltag. Ich habe zum Beispiel den Auftrag gehabt, für die Firma Siemens zum Thema Sicherheitstechnik was zu machen, sie hatten ein neues Produkt entwickelt. Ich habe mir also was einfallen lassen und einen Seiltrick thematisch entsprechend modifiziert und vorgeführt. Man muss die immer selben Tricks so ausschauen lassen, als seien sie speziell für diesen Kunden kreiert. Das macht Spaß, kann aber auch schwierig sein, wenn, wie in diesem Fall, das Publikum aus lauter Technikern besteht. Nur Männer, keine Frauen … es ging natürlich trotzdem gut. Ich hab auch mal was gemacht für die Gesellschaft für Orale Implantologie und auch etwas mit Melkmaschinen. Mehr als 20, 30 Tricks braucht man nicht, vorführen tu ich so etwa 30, die kann ich im Schlaf … wenn sie mich aufwecken um vier in der Früh, kann ich die. Ich habe bei Siemens zum Beispiel auch den Trick mit der Handguillotine etwas abgewandelt und vorgeführt.
Ein Zuschauer legt, nachdem man eine Gurke damit geköpft hat, seine Hand unters Fallbeil. Die Hand bleibt natürlich dran. In diesem Fall dank eines roten Knopfes, Symbol für die Siemens’sche Sicherheitstechnik. Die Leute sind bei dieser Nummer immer etwas befangen, ich hab trotzdem einen vom mittleren Management auf die Bühne gebeten. Es muss schon ein bissl ein Vorgesetzter sein, denn wenn ich einem Lehrling die Hand abhacke, macht das den Leuten ja keinen Spaß. Und der oberste Chef sollte es auch nicht unbedingt sein, der will seine Autorität ja gewahrt wissen. Ich muss also ein Gefühl haben für alles. So ein Abend bringt etwa 1.000 Euro Grundgehalt, das ist die Untergrenze, aber ich bin dann den ganzen Abend über natürlich da, mache Mikromagie an den Tischen, bis zum Ende der Veranstaltung. Also, ich finde, es gibt weitaus schlechter bezahlte Jobs, die zudem noch viel weniger Spaß machen. Aber die Zeiten sind leider nicht so gut. Das beste Jahr, das ich gehabt habe in der Zauberei, war das Jahr 2001.
Nach dem 11. 9. ist das dann alles zurückgegangen, durch die allgemeine pessimistische Stimmung in der Geschäftswelt. Wegen der Rezession und auch aufgrund der Terroranschläge ist die Stimmung negativ und auch defensiv in der Wirtschaft. Und wenn man gleichzeitig die Leute auf die Straße setzt in Massen, will man vielleicht – schon aus Imagegründen – nicht gleich ein großes Budget für Unterhaltungsveranstaltungen ausgeben vor aller Augen, das passt einfach nicht zusammen. In Amerika ist das anders. Ich glaube, dass ich die allgemeine Wirtschaftsentwicklung ganz gut mitbekomme, allein durch die Zauberei!“
Nach Sonnenuntergang erscheint am samtblauen Himmel ein funkelndes ockerfarbenes Gestirn. Es ist der Mars. An diesem Tag ist er der Erde so nah wie zuletzt im Jahr 57.618 v. Chr.