: „Referendum schon im nächsten Frühherbst“
SPD-Rechtsexperte Hermann Bachmaier zu Volksabstimmungen über die EU-Verfassung und den Türkeibeitritt
taz: Herr Bachmaier, ist ein Referendum über den EU-Beitritt der Türkei sinnvoll?
Herrmann Bachmaier: Ich bitte Sie! Die Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei dauern bis etwa 2015. Erst dann kann entschieden werden, ob eine Volksabstimmung sinnvoll ist.
Viele in der CDU/CSU sind jetzt schon für ein Türkeireferendum. Bringt das neuen Schwung in die Diskussion um die Grundgesetzänderung?
Ich warne davor, das Grundgesetz nur mit Blick auf ein konkretes Projekt zu ändern. Entweder man ist für mehr Bürgerbeteiligung oder dagegen.
Die Forderung nach einem Volksentscheid etwa für die EU-Verfassung hat aber die Erfolgsaussichten für eine Grundgesetzänderungen stark erhöht.
Das stimmt.
Ihr Parteichef Franz Müntefering hat ein Referendum über die EU-Verfassung nur befürwortet, falls sich die Ratifizierung in Deutschland nicht verzögert. Ein Trick?
Kanzler Schröder hat das Ziel benannt, dass Deutschland als eines der ersten Länder die EU-Verfassung ratifiziert. Das halte ich für richtig. Denn Deutschland kann bei den EU-Partnern besser für die Verfassung werben, wenn wir unsere Hausaufgaben schon gemacht haben.
Wann könnte ein Volksentscheid über die EU-Verfassung frühestens angesetzt werden?
Dieser könnte schon im Frühherbst 2005 stattfinden. Die Grundgesetzänderung dürfte – wenn die Opposition mitmacht – bis zum Frühjahr abgeschlossen sein. Dann brauchen wir vielleicht noch ein halbes Jahr für die Information der Bürger, die öffentliche Diskussion und die technische Vorbereitung.
Zum Vergleich: Wie lange würde eine Ratifizierung der EU-Verfassung ohne Volksentscheid dauern?
Vor Mai wäre man auch auf dem üblichen Wege nicht fertig. Erforderlich wäre eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Doch vor der Abstimmung muss auch Raum für öffentliche Diskussionen sein.
Oktober statt Mai – das ist fast ein halbes Jahr später …
Das ist keine substanzielle Verzögerung. Wir stärken damit ja auch die Legitimation der EU-Verfassung. Außerdem dürfte Deutschland selbst im Oktober 2005 noch einer der ersten ratifizierenden EU-Staaten sein. Formal ist Zeit bis Ende 2006.
Glauben Sie wirklich, man schließt eine so weitgehende Grundgesetzänderung, wie die Einführung von Volksentscheiden, bis zum Frühjahr ab?
Ja. Das Thema ist weitgehend ausdiskutiert. Wir haben unseren Antrag ja schon in der letzten Wahlperiode eingebracht. Damals war der CDU/CSU die Zeit zu knapp. Das gilt jetzt nicht mehr.
Warum wird das Vorhaben nicht aufgesplittet – zunächst das Referendum über die EU-Verfassung regeln, dann die Volksentscheide allgemein?
Davon halte ich gar nichts. Beides gehört zusammen. Wir sollten die Diskussion über Volksentscheide endlich zu einem guten Ende bringen. Die Union soll sagen, was sie will, wir werden ihr in allen Fragen der Ausgestaltung entgegenkommen.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH