: Mehr Puls als Swing
„Start Playing“: Drei Tage vom gepflegten Hardbop über Free Jazz alter Schule bis zum gitarrenlastigen Jazz-Rock: Auch bei seiner 10. Auflage will das Hamburger JazzHaus-Festival mehr sein als die Nabelschau einer lokalen Szene
„Start Playing“ steht auf Werbepostkarten und Programmzetteln – und es geht nicht um eine Leistungsschau von Musikschülern oder Jazzstudien-Absolventen. Sondern um das Motto des diesjährigen JazzHaus-Festivals in Hamburg. Und gemeint sein könnte die Befreiung von vorgefertigten Stil-Schablonen sein – der Punkt, an dem Jazzmusiker erst „richtig zu spielen“ beginnen. In diesem Sinne präsentiert das Festival zu seinem zehnten Jubiläum vom 29. bis 31. Oktober wiederum ein Programm vom gepflegten Hamburger Hardbop über europäischen Free Jazz alter Schule bis zum Jazz-Rock.
1994, frustriert vom lokalen Jazzkonzertgeschehen, taten sich Hamburger Musiker zur Initiative JazzHaus zusammen und veranstalten seitdem einmal im Jahr an wechselnden Spielorten und bei eher zu vernachlässigender Förderung durch die Kulturbehörde ihr kleines, ambitioniertes Festival, das nie bloße Nabelschau einer kleinen Szene sein sollte. Ab 1997 wurden immer wieder auch Auswärtige eingeladen, so sorgen in diesem Jahr Gäste aus Berlin und Dänemark für Überraschungen.
Dass das Festival schon mittwochs beginnt und am Freitag endet, ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Beim zweiten Hinsehen bietet das Programm gute Gründe, sich auch werktags am Abend im Hafenklang einzufinden. Der Auftakt am Mittwochabend ist dem so genannten Post-Bop gewidmet. Noch 60 Jahre nach der Bebop-Revolution wächst der aktuelle Jazz hörbar aus dessen Wurzeln. Doch nicht nur die gemeinsame stilistische Herkunft verbindet die auftretenden Bands Schumanski Treatment, Capri die rote Quintett und Lautgut 76 – die drei Besetzungen werden zudem von Pianisten geleitet, die je eigene Arrangements zwischen modalem New York-Sound, akustischem Eklektizismus von Fusion bis Free Jazz und schließlich ausgetüftelter Vielstimmigkeit mitbringen.
Am Donnerstag findet das Trio BMB mit zwei Bässen, Laptop und Schlagzeug den Weg zu einer zeitgenössischen elektronischen Musik, die viel mit Jazz zu tun hat. Dabei bleiben ihre tief tönenden Improvisationen auf sympathische Art konkreter als beispielsweise der Post-Rock von Tortoise oder To Rococo Rot.
Die Berliner Formation Das Rosa Rauschen um Felix Wahnschaffe und John Schröder schließlich verbindet schon seit 1997 die Freiheit des Jazz mit der Kontrapunktik etwa Bach‘scher Fugen. Kammermusikalische Feinsinnigkeit kann da scheinbar nahtlos übergehen in humorvolle Improvisationen. So klar, wie es dabei ein Gefälle von „sehr harmonisch“ bis „disharmonisch“ gibt, bleibt die Verbindung zu den wunderschönen Themen des coolen Altsaxophonisten Wahnschaffe immer bestehen.
Das Finale wird am Freitag mit vier Bands etwas ausführlicher begangen. Nach dem Free Jazz des Tremor-Trio um H. E. Gödecke konzentrieren sich mit The Four und dem Jesper Løvdal Quartett zwei auf Tenorsaxophonisten zugeschnittene Quartette auf erfrischenden akustischen Jazz. Die Energie ihrer Improvisationen beziehen sie aus melodiösen „Blowing Tunes“, die treibende Kraft ist mehr Puls als Swing. Den richtigen Abschluss des Festivals bilden dann die Hot Five – ihr Rock-Jazz, so gitarrenlastig wie hörenswert, steht mit gefühlvollen Balladen und kraftvoller Kantigkeit in einem eher ironischen Verhältnis zum Bandnamen.
Bleibt noch zu erwähnen, dass die Preise an jedem Abend mit 9 (ermäßigt 6) Euro und der Festivalkarte für 20 (ermäßigt 14) Euro erfreulich moderat gehalten wurden – noch günstiger geht das nur noch im Vorverkauf.
TOBIAS RICHTSTEIG
29.–31.10., jeweils 21 Uhr, Hafenklang, Gr. Elbstr. 84, Hamburg; Infos und Programm: www.jazzhamburg.de/jazzhausfestival