: Feindliche Arabesken
Wie sieht die Zukunft der arabischen Wohnkultur im Spagat zwischen Orientalismus, Globalisierung und postmodernem Städtebau aus? Im Goethe-Institut wurde über das „Leben unter dem Halbmond“ diskutiert
„Wir wurden verwestlicht.“ Für Shahira Mehrez sind Design und Gestaltung innerhalb der arabischen Welt nicht mehr an ein Wissen gekoppelt, das von Generation zu Generation weitervererbt wird. Stattdessen habe man es seit der Kolonialzeit mit Vermischung, wenn nicht Kitsch zu tun, in dem die ursprüngliche „Schönheit der Nation“ unter dem Einfluss westlicher Moden verloren gegangen sei.
Shahira Mehrez ist keine Fundamentalistin, sondern Innenarchitektin und Historikerin für Islamische Kunst aus Kairo. Deshalb war sie am Wochenende für ihren Vortrag über arabische Interieurs ins Goethe-Institut zur internationalen Tagung „The Domestic House in the Arab World of Today“ eingeladen, die parallel zur Ausstellung „Leben unter dem Halbmond“ im Vitra Design Museum Berlin stattfand. Während im Museum ein Überblick über klassische arabische Wohnkultur mit Fotos, Videos und Originalstücken zu sehen ist, fragte der Kongress nach den Modernisierungsfolgen. Wie sieht neues Bauen in Marokko, im Irak oder Libanon aus? Lässt sich im Spagat zwischen Orientalismus und Globalisierung eine ursprüngliche Architektur der arabischen Welt überhaupt rekonstruieren?
Folgt man Mehrez, ist dieser Weg zurück verbaut. Denn mit den Neuerungen im Design von Ornamenten und Mustern ist bereits vor über 100 Jahren jede Chance einer, wie sie sagt, „nationalen Identität“ verschwunden: So wurde Tradition in Ägypten Mitte des 19. Jahrhunderts ein Synonym für Rückschrittlichkeit und Unterentwicklung. Stattdessen bevorzugte man eher europäische, nur mehr orientalisierte Formen in Architektur, Einrichtung und Kunsthandwerk. Deshalb sei selbst die „Arabeske“ bloß eine Spielart der „Bastardisierung“, als deren Gegenpart Mehrez das Werk des ägyptischen Architekten Hassan Fathy lobte, der bereits 1940 die alten Techniken für Kuppelbauten aus Erde wiederentdeckt hatte. Zuletzt waren Fotos seiner utopischen Siedlungen auf der Biennale in Venedig ausgestellt.
Überhaupt wurde viel über die Rückkehr zu traditionellen Werten diskutiert. Doch die Praxis ist weiter: Derzeit wird im alten Teil Kairos ein bisher als Schutthalde genutzter Hügel zum Naherholungsgebiet umfunktioniert – die Restaurierung der umliegenden Häuser inklusive. Das Renommee-Projekt kostet einige Millionen, wobei Stefan Bianca, der das Programm zur Erneuerung historischer Städte bei der Stiftung leitet, in Berlin den Umbau mit einem Heilungsprozess im Dienste des „Urban Body“ verglich. Jean Louis Cohen dagegen warnte in der Abschlussdiskussion vor dem Gebrauch solcher Körper-Metaphern. Als Chef des Institut Française d'Architecture Paris lag sein Fokus auf der städtebaulichen Entwicklung Casablancas: Das „New York“ Nordafrikas galt unter General Lyauteney in den 20er-Jahren als Experimentierfeld. Hier wurden Gebäude ohne Bürokratie und Beschränkungen errichtet – traumhafte Bedingungen für die damalige französische Architektenavantgarde.
Aber hat sich der Fortschritt gelohnt, der mit der Kolonialmacht einherging? Schwer zu sagen. Immerhin sind traditionelle und zeitgenössische Bauweisen heute so sehr verflochten, dass sich zwischen authentischer arabischer Wohnkultur und international style kaum trennen lässt. Dafür brachte George Arbid von der American University in Beirut einige verblüffende Beispiele: Im Libanon hat man bei der Rekonstruktion klassisch-moderner Gebäude zu einem Stil gefunden, der mehr an Walt Disney erinnert als an Oskar Niemeyer oder Alvar Aalto. Weder arabisch noch postmodern, aber mit sehr viel Zucker. BETTINA ALLAMODA
„Leben unter dem Halbmond: die Wohnkulturen der arabischen Welt“, bis 18. 1. 2004, Di.–So. 11–20 Uhr,Vitra Design Museum Berlin, Kopenhagener Str. 58