: Wenn der Einzelne im Mittelpunkt steht
„Human Security – Women‘s Security?“: Eine Tagung in Berlin diskutiert alte und neue Sicherheitsstrategien
BERLIN taz ■ Darf man Käfighaltung von deutschen Soldaten betreiben? Zumindest in Afghanistan scheint das ein adäquates Mittel zu sein. Einer von vielen Gründen, warum die Bevölkerung das Wirken der Isaf-Schutztruppe so positiv einschätzt, ist der Einschluss der Soldaten während ihrer Freizeit auf dem Militärgelände. In Kambodscha oder Westafrika haben frühere UN-Missionen einen rapiden Anstieg von Prostitution, Frauenhandel und Aidsrate bewirkt, in Kabul wurde dem der Riegel des Camp-Tores vorgeschoben. „Lektion gelernt“, stellte Almut Wieland-Karimi zufrieden fest.
Die Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Afghanistan war am Wochenende eine der ReferentInnen auf der Berliner Tagung „Human Security – Women’s Security?“, die vom Feministischen Institut der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem deutschen Frauensicherheitsrat veranstaltet wurde. Ihre kleine Geschichte von den Soldaten zeigte, welche praktischen Auswirkungen verschiedene Sicherheitsstrategien haben. Der Antiterrorkampf der US-Regierung stärkt vor allem Warlords und schwächt damit die Rechte der weiblichen Bevölkerungsmehrheit; er entspringt dem traditionellen Sicherheitsdiskurs, der nur die Wahrung der eigenen Herrschaftsinteressen kennt. Das deutsche Vorgehen ist hingegen ein mehr oder weniger bewusstes Mischkonzept, das sich aus Elementen des „erweiterten Sicherheitsbegriff“ von Nato und EU und des Human-Security-Konzepts der UNO speist.
Die „erweiterte“ Sicherheitspolitik ist dabei genauso staatsfixiert und interessengeleitet wie die traditionelle, sie schließt nur neue Bedrohungen durch Staatenzerfall oder Massenelend in ihre Szenarien mit ein. Das seit 1994 in UN-Gremien diskutierte Modell der „menschlichen Sicherheit“ beinhaltet hingegen einen Paradigmenwechsel: Es geht nicht mehr vom Schutzbedürfnis des Staates, sondern von dem des einzelnen Menschen aus. Unter dem Vorsitz von Ex-UN-Flüchtlingskommissarin Sadako Ogata und Nobelpreisträger Amartya Sen wurde der Endbericht der „Commission on Human Security“ im Mai 2003 fertig gestellt. Alle Menschen seien nicht nur vor Kriegsgewalt zu schützen, wird darin gefordert, sondern auch vor Hunger, Krankheit, unfairem Handel oder Bildungsmangel. Menschliche Sicherheit bedeutet also „Freiheit von Angst“ und „Freiheit von Mangel“. Das Ziel sei, so der Human-Security-Forscher Elmar Altvater auf der Tagung, „wunschlos glücklich“ zu sein.
Globalisierungskritiker wie Altvater sehen in dem Konzept neue Chancen, die Ursachen weltweiter Ungerechtigkeiten zu thematisieren: Menschliche Sicherheit werde durch öffentliche Güter wie Wasserversorgung, Gesundheitsdienste oder Bildung hergestellt, die nun durch den neoliberalen Ausverkauf bedroht seien. Darüber hinaus sei das die einzige Sicherheitsstrategie, ergänzte die Politikwissenschaftlerin Cornelia Ulbert, die auch häusliche und sexualisierte Gewalt im Visier habe.
Die Breite des Ansatzes sei jedoch auch seine Schwäche, warnten Ulbert und der Friedensforscher Tobias Debiel. Wenn man zu konkreten Handlungsanleitungen kommen wolle, sei es nötig, den Begriff menschliche Sicherheit viel enger zu definieren, sodass er nur die physische und psychische Integrität umfasse, nicht aber Bildungsfragen.
Von Kanada, das den neuen Ansatz am konsequentesten umgesetzt hat, wird das Konzept nur in diesem engen Sinne angewandt. Das Außenministerium habe eine Abteilung menschliche Sicherheit eingerichtet, berichtete Roman Waschuk von der kanadischen Botschaft in Berlin, und sich etwa für Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen stark gemacht. Das hindere die Regierung nicht, kritisierte die kanadische Entwicklungsexpertin Rosalind Boyd, sich am US-Raketenabwehrprogramm zu beteiligen.
Es blieb dem Beauftragten der Bundesregierung für die Bekämpfung des Terrorismus im Auswärtigen Amt überlassen, auf eine andere Grenzen des Human-Security-Ansatzes hinzuweisen. Leider sei es selten möglich, so Georg Witschel, rechtzeitig Mittel für teure Stabilisierungsprogramme in Krisenregionen lockerzumachen. „Erst wenn die Massaker jeden Abend im Fernsehen laufen, legt man dann eine militärische Intervention auf, die doppelt so teuer ist.“
UTE SCHEUB