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Archiv-Artikel

Russischer Schock

Die Festnahme des Ölmagnaten und Putin-Gegners Chodorkowski führt zu Panikverkäufen an der Börse

MOSKAU ap/rtr ■ Nach der spektakulären Festnahme des Chefs des größten russischen Ölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowski, verkauften gestern Anleger im ganzen Land panikartig ihre Unternehmensanteile. Die Kurse stürzten kräftig ab. Die Moskauer Börse setzte den Handel zeitweilig aus.

Der zweitgrößte russische Aktienindex Micex fiel gestern morgen um fast dreizehn Prozent, woraufhin der gesamte Handel vorübergehend ausgesetzt wurde. Die Yukos-Aktien brachen um rund 19 Prozent ein. Zeitweise büßte das Unternehmen mehr als 6,5 Milliarden Dollar ein. Auch der Kurs der Landeswährung Rubel gab vorübergehend deutlich um einen halben Prozent nach. Nach einer Intervention der russischen Notenbank erholte er sich bis zum Nachmittag wieder.

Präsident Wladimir Putin, dessen Geheimdienstlerfraktion im Kreml allgemein als Drahtzieher hinter der Verhaftung gesehen wird, versuchte, die Investoren zu beruhigen. Er warnte davor, aus Angst vor einer Wiederverstaatlichung von Yukos in Hysterie zu verfallen. Gespräche mit Wirtschaftsvertretern über den Fall lehnte er derzeit aber ab. Experten befürchten, dass es zu einer Kapitalflucht aus Russland kommen könne, sollte der Ölkonzern im Zuge der Ermittlungen vorübergehend wieder unter staatliche Kontrolle gestellt werden.

Zahlreiche Kommentatoren warnten vor einer Rückkehr sowjetischer Unterdrückungspraktiken. „Kapitalismus mit Stalins Gesicht“, titelte die Zeitung Nesawisimaja Gaseta. Putin erklärte, er werde sich nicht für den Geschäftsmann einsetzen, sondern die Angelegenheit der Justiz überlassen. Die Ermittlungen seien aber kein Indiz dafür, dass die umstrittenen Privatisierungen der Neunzigerjahre rückgängig gemacht würden.

Chodorkowski war am Samstag wegen angeblichen Betrugs und Steuerhinterziehung aus dem Flugzeug heraus in Sibirien festgenommen worden. Gestern befand er sich im Moskauer Gefängnis. Die Inhaftierung des reichsten Mannes Russlands markiert den vorläufigen Höhepunkt im Machtkampf des 40-Jährigen mit Präsident Putin. Chodorkowski gilt als Fürsprecher der liberalen Opposition – und bei vielen als potenzieller Kandidat für das Präsidentenamt im Jahr 2008.