: Ein Rathaus lässt sich gendern
Die Amtsverwaltung des kleinen Städtchens Friedrichstadt bei Husum hat sich kollektiv und willig im „Gender Mainstreaming“ schulen lassen. Obwohl längst nicht alles neu war für die Beschäftigten, hat keiner genölt: „Wat schall dat denn?“
Aus FriedrichstadtEsther Geißlinger
Brigitte Wotha hat zwei Tage lang offene Türen eingerannt. Jetzt ist sie abgekämpft – und strahlt: „Was für ein tolles Amt!“ Die MitarbeiterInnen der Friedrichstädter Amtsverwaltung grinsen. Vor den Fenstern des Rathauses liegt im Abenddämmer der beschauliche Marktplatz. Ein paar Autos rollen vorüber, am Steuer Männer, die von der Arbeit kommen. Zwei Frauen stehen neben ihren Einkaufstaschen und schwatzen.
„Alle Menschen sind entweder Männer oder Frauen – richtig oder nicht?“, fragt die Dozentin im Ratssaal. Brav stellen sich Azubis, SachbearbeiterInnen, Sekretärinnen, der Amtschef auf – links, wenn sie ja meinen, rechts, wenn sie dagegen sind. Ein paar haben die Lektion schon begriffen und stellen sich in die Mitte oder nach rechts. „Ich hab‘ vorher zu viel erzählt“, ärgert sich Wotha. Aber es passiert ihr mehrmals, dass die Leute schon wissen, worauf sie hinaus will.
Wohl deshalb spielt das kleine Friedrichstädter Amt, Verwaltung für eine Miniaturstadt und vier Dörfer nahe Husum, die Vorreiterrolle in einem Modellprojekt: Die Belegschaft lässt sich von Landschaftsplanerin Wotha im „Gender Mainstreaming“ schulen. Bundesweit einmalig sei das, schwärmt die Mittvierzigerin: „Es gab Schulungen für einzelne Abteilungen oder die Führungsebene, aber dass vom Lehrling bis zum Chef jeder mitmacht, das ist neu.“
Sperriges Wortungetüm
„Gender Mainstreaming“ ist seit 1997 EU-Richtlinie, aber kaum jemand kann sich unter dem Wortungetüm etwas vorstellen. Der sperrige Name ist fast unübersetzbar – er bedeutet, dass das „soziale Geschlecht“, also die Rollen, die Menschen in der Gesellschaft spielen, als „Hauptströmung“ in jede Entscheidung einfließen müssen. Und da die soziale Rolle häufig davon abhängt, ob ein Mensch Männlein oder Weiblein ist, hat der Gender-Gedanke viel mit Gleichstellung zu tun.
Das Thema lockt also zum Geschlechterkampf – doch der fällt aus, auch wenn anfangs einige TeilnehmerInnen skeptisch waren: „Ich hatte keine Vorstellung, worum es bei der Sache geht“, bekennt Florian Johannsen. Der 22-Jährige ist Azubi im Ordnungsamt. Seine Generation, meint der Blondschopf, „hatte nie Probleme mit der Gleichstellung – wir kriegen das so mit“. Dennoch staunt er, als Wotha jede Abteilung auf den Prüfstand stellt: „Wir gendern alles.“ Selbst die Kämmerei, die mit eigentlich unverdächtigen Zahlen arbeitet, entpuppt sich als gender-bedürftig: „Wenn man einen Haushaltsplan aufstellt, muss man Geld für alle Gruppen bereitstellen“, hat der Azubi gelernt. Dass sich bei seiner Arbeit viel ändert, glaubt er nicht, aber „bei den Älteren vielleicht“.
Zu denen zählt der Leitende Verwaltungsbeamte Helmut Oesen, Chef des 22-köpfigen Rathaus-Teams. Der 60-Jährige glaubt, die Schulung werde die tägliche Arbeit nicht umkrempeln: „Wir sind hier ohnehin keine Machos.“ Jedoch habe er den Eindruck, „dass mehr Verständnis für den Begriff geweckt wurde“. In Friederikenstadt werde der Ort mit frisch gegendertem Rathaus aber nicht umbenannt: „Sicher nicht“, lacht Oesen.
Drinnen im Sitzungssaal unter den Augen des Stadtgründers in Öl an der Wand wird im Rollenspiel ein Jugendraum gender-gerecht umgebaut. Wieder wird Brigitte Wothas Vorurteil, dass Männer anders planen als Frauen, enttäuscht: „Da gab es keinen großen Unterschied“, fasst Hanne Batzlaff zusammen. Sie leitet das Ordnungsamt, solange dessen Chefin im Mutterschutz ist. Auch das Bauamt untersteht einer Frau, und es wäre auch fast eine Bürgermeisterin gewählt worden.
Nur Vorzimmerdamen
Aber eben nur fast – und da ist er wieder, der kleine Unterschied mit den gravierenden Folgen: „Zum Beispiel haben wir nur Vorzimmerdamen“, überlegt Ordnungsamtsmitarbeiterin Katja Reiche. „Obwohl das genauso gut ein Mann machen könnte.“ Ansonsten aber: Vorbildliches Verhalten. Jüngst beschlossen die Stadtvertreter, nur eine Frau sitzt im Gremium, die Sprache der Verordnungen zu entstraffen. Statt in jeden Text männliche und weibliche Formen zu verwenden, wird jetzt gewechselt: Mal rein männlich, mal rein weiblich. Das kam den ehrenamtlichen Politikern zwar ein bisschen komisch vor, aber „beschlossen wurde es doch“, sagt Oesen. Die Gleichstellungsbeauftragte Elke Paulsen lobt den Amtsausschuss, der die Gender-Schulung bewilligte: „Keiner hat gesagt: Wat schall dat denn?“ 600 Euro stammen aus einem EU-Programm, die gleiche Summe aus dem Amtshaushalt.
Paulsen, Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft ehrenamtlicher Gleichstellungsbeauftragter, weiß, dass das Thema „von einigen belächelt wird“. Lange nicht überall hätte sie so ein Projekt umsetzen können.
Dabei soll es sich auszahlen: „Irgendwann gibt es keine Fördermittel mehr, wenn eine Kommune nicht nachweist, dass die Gender-Richtlinie berücksichtigt wurde.“ Seminarleiterin Wotha verspricht wahre Wunder: Sie hat über das Thema ihre Doktorarbeit geschrieben und festgestellt: „Effektive Planung gibt es nur, wenn der Gender-Gedanke immer mitläuft.“ Kann eine Straße diskriminieren? „Ja“, sagt Elke Paulsen. „Wenn sie nur eine Straße ist. Sie braucht aber einen so breiten Bürgersteig, dass Kinderwagen, Rollstühle und Gehwagen darauf Platz haben.“
Radikale Rollenspiele
Liegt eigentlich auf der Hand – wozu also ein Seminar? „Weil Gender viel radikaler ist als klassische Frauenförderung“, sagt Wotha. Frauen, Kinder, Alte, Behinderte werden nicht mehr als Randgruppen eingestuft, sondern als zentrale Figuren – und das will geübt werden.
Im Ratssaal werden die Unterlagen zusammengepackt. Ein paar Rollenspiele, ein paar Gedanken, ein paar Ideen sind entstanden. Das Amtsblättchen kriegt eine Kinderecke, die StandesbeamtInnen werden mit heiratswilligen Paaren frühzeitig darüber reden, ob sie den Namen des Mannes oder der Frau behalten. Eine Zeit lang werden sich vermutlich alle große Mühe geben, dann mag das Thema in Vergessenheit geraten. Oder nicht? „War alles nicht neu für uns“, sagt Norbert Engelke, der Personalratsvorsitzende, augenzwinkernd. „Wir haben nur so getan, als seien wir überrascht.“