: Bauen unter dem Hakenkreuz
Berlins NS-Bauten sind nicht nur das Olympiastadion oder Tempelhof. In allen Stadtteilen trifft man auf Industrie-, Verwaltungs- und Wohnbauten. Ein Buch holt sie aus der Versenkung – zur Aufklärung
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Weitaus mehr, als auf den ersten Blick erkennbar, sind in Berlin die architektonischen Spuren aus den zwölf Jahren Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 erhalten geblieben. Gemessen an den Zerstörungen durch die Bomben des Zweiten Weltkriegs und die ideologischen oder städtebaulichen Abrissarbeiten danach, trifft man in beinahe allen Stadtteilen auf Wohnungsbauten und Siedlungen, Industrie- und Gewerbearchitekturen, ehemalige Kasernen und Parteiheime, Sportbauten oder Verwaltungs- und Firmenzentralen, die unzerstört und unverändert seit der NS-Zeit das Stadtbild mitprägen.
Als Zeugnisse nationalsozialistischer Architektur sind viele davon jedoch bis dato unterbelichtet, unerkannt oder unterbewertet geblieben – was teilweise ihrer mangelhaften Bedeutung und Zeichenhaftigkeit geschuldet ist. Wesentlich zu ihrer Marginalisierung beigetragen hat, dass sich die Baugeschichte, Publikationen und die Sicht auf die Großbauten der NS-Macht und -Mächtigen, des Terrors und der faschistischen Repräsentation konzentriert haben: das Olympiastadion, den Flughafen Tempelhof, die Reichsbank, die Ministerien an der Wilhelmstraße oder die Straße des 17. Juni.
Mit dem Buch „Architektur in Berlin 1933 bis 1945“ sucht der Kunsthistoriker Matthias Donath nun diese Lücken zwischen den bekannten NS-Großbauten aus Speers Hauptstadtplanung, den kleineren Nazi-Gebäuden und der Alltagsarchitektur jener Zeit zu schließen. Donath tut dies mit einer guten Auswahl von über 80 Gebäuden aus den Bezirken, kommt es ihm doch darauf an, „Aufarbeitung und Aufklärung durch Begegnung“ zu leisten, wie Jörg Haspel, Chef des Landesdenkmalamts, im Vorwort anmerkt.
Hinzu kommt, dass Donath sehr klar die Geschichte, die Nutzungen sowie die baulichen Zeichen und die Symbolhaftigkeit der NS-Zeit aufreißt. „Der Architektur wurde im ‚Dritten Reich‘ die gesellschaftliche Aufgabe zugewiesen, politische Botschaften zu transportieren. Baukunst diente der Propaganda.“
Dennoch stellt auch Donath heraus, dass die Nazis oder Speer selbst kein „geschlossenes Architekturprogramm“ hatten. Neben den neoklassizistischen Kolossalbauten wie der Reichskanzlei oder dem Olympiastadion und den ideologisch-heimatverbundenen „Blut-und-Boden-Architekturen“ im bäuerlichen Stil standen die Industriebauten oder Verkehrsbauten der Moderne. Dass sich die Zeichensprache der Nazis dennoch auch in diese schleicht – wie etwa bei der Pfeilerhalle im Arbeitsamt Charlottenstraße (1934/37), dem „süddeutschen Traditionalismus“ bei den Wohnsiedlungen Krumme Lanke (1938/40) oder der Greifswalder Straße (1938) sowie bei den monumental inszenierten Verwaltungsbauten am Fehrbelliner Platz (1935 bis 1938) –, deutet Donath als gewollte Überformung, den gewollten Neuaufbau Berlins als Reichshauptstadt durch Hitler ab 1937 – von der nicht alles in Schutt und Asche fiel. „Ein Stadtführer“ nennt Donath sein Buch, das im Lukas Verlag für 29 Euro erscheint. Allein das gelungene Werk hat ein Manko: Ein paar Kilo im DIN-A4-Format schleppt man nicht quer durch Berlin.