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Archiv-Artikel

Ein Papier gibt die Antwort auf Pisa und die Kultusminister

Den Übertritt von der Grundschule und die Sekundarstufe bundeseinheitlich regeln. Die Probleme der Länderkoordination „ehrlich und zweckmäßig“ lösen – durch Bundesgesetz

Jetzt wird es eng für die Kultusminister. Am Sonntagabend machte Reiner Calmund auf vox populi. „Ich bin für Föderalismus“, sagte der Exmanager von Bayer Leverkusen, „ich bin auch dafür, dass die Länder ihre Kultur pflegen.“ Aber bei Bildung in Zeiten der Globalisierung frage er sich schon, warum die Kultuspolitiker dächten, „wir müssen unser eigenes Süppchen kochen in jedem einzelnen Land“.

Das Problem für die Kultusminister war nicht, dass Calmund von der Sache wenig versteht, sondern dass er diesen Satz bei „Sabine Christiansen“ sagte – und frenetischen Beifall erhielt. Reiner Calmund als Volksmund, und der liebt diejenigen scheinbar gar nicht, die für die Schulen und Hochschulen in Deutschland Verantwortung tragen.

So sieht die Sache von unten, von der Basis aus. Von oben, von den politischen Eliten her betrachtet, ist die Angelegenheit auch nur auf den ersten Blick kommod. Zwar haben die Ministerpräsidenten in ihrer Berliner Klausur die Kultusminister vor dem Untergang bewahrt. Die Konferenz der Kultusminister (KMK) wird weiter bestehen. Auf den zweiten Blick wird freilich auch hier deutlich: Keine der offenen Fragen ist geklärt. Die Einstimmigkeit der Kultusfritzen nicht. Ob die KMK mehr oder weniger Kompetenzen bekommen soll. Ob die Konferenz bald gar ein Junges gebären wird, eine Konferenz der Wissenschaftsminister nämlich. Wie Koordination und Fortentwicklung gleichzeitig klappen sollen.

Die Krux der Ministerpräsidenten ist, dass sie auf einem der politisch wichtigsten Gebiete, der Bildungspolitik nach Pisa und vor dem demografischen Kollaps, alles auf streitig gestellt haben: Während sie die Kultusministerkonferenz hier so eben noch über Wasser halten konnten, wollen sie ihr dort in der Föderalismuskommission bergeweise neue Kompetenzbereiche aufladen – den Hochschulbau etwa oder die berufliche Bildung. Schon morgen ist die nächste Sitzung der Kommission. Die Länder verlangen darin praktisch bildungspolitische Allzuständigkeit. Sie versprechen hoch und heilig, sich dafür als Wissenschafts-, Kultus- und Schulminister effizient koordinieren zu wollen. Aber geht das überhaupt?

Es lohnt sich, einen Mängelbericht über die Kultusbürokratie zu lesen, um klüger zu werden. Darin werden die „strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems“ benannt. Inhaltlich wie von den Zuständigkeiten her liest sich das Papier wie eine maßgeschneiderte Antwort auf das Pisa-Desaster.

Die Gutachter halten es für angemessen, die Übergänge von der Grundschule in die erste Sekundarstufe „in den Grundzügen einheitlich zu regeln“. Und auch die Sekundarstufe selbst – die heute ein völlig zersplittertes System darstellt – zu harmonisieren. Das hieße: Endlich die von den Ländern geleugnete Frage der Schulstruktur anzugehen.

Wer soll das tun? Die Gutachter lehnen es ab, aus der Kultusministerkonferenz eine Art Kultusparlament zu kreieren, das mit Mehrheiten entscheidet. Das würde „die gleichrangige Eigenstaatlichkeit der Länder in Frage stellen“. Auch eine Mitwirkung der Länder an den Bundesgesetzen wird abgelehnt – da dies die Autorität des Bundestages untergrabe. Was bleibt? Eine Antwort, die Reiner Calmund fühlte, aber nicht aussprach: Es sei „ehrlicher und zweckmäßiger, im Falle der Notwendigkeit bundeseinheitlicher Regelung ein Bundesgesetz zu erlassen“.

Was kann man daraus lernen? Dass es genug Wissen über die deutsche Bildungskrise gibt. Und dass es alt ist, verdammt alt. Denn die genannten Empfehlungen sind ein Vierteljahrhundert alt. Die damalige Bundesregierung hat sie im Jahr 1978 aufgeschrieben. Wäre eine prima Lektüre für die Föderalismuskommission. CHRISTIAN FÜLLER