: Die Politik taugt nicht als Konzernretter
Die wirtschaftspolitische Verantwortung der Bundesregierung beginnt beim Konsumenten, nicht beim Anbieter. Deshalb muss Rot-Grün über die makroökonomische Politik nachdenken. Denn die Verbraucher in Deutschland sind nachhaltig verunsichert
VON GERT WAGNER
In den Fällen Karstadt, Opel und VW werden – insbesondere an den Stammtischen, aber nicht nur dort – die Rufe lauter, dass der Kanzler eingreifen sollte, um Arbeitsplätze zu retten. Das ist völlig verständlich, aber – trotz der seinerzeit vielbeklatschten Holzmann-Aktion des Kanzlers – nach wie vor ökonomisch falsch.
Bei den Fällen Opel und VW einerseits und Karstadt andererseits handelt es sich um unterschiedliche Entwicklungen. Die Autohersteller stehen im internationalen Konkurrenzkampf. Bei Karstadt geht es um eine Umstrukturierung des Einzelhandels in Deutschland. Zwar ist es richtig, dass die deutsche Industrie international äußerst wettbewerbsfähig ist, da hohen Lohnkosten eine außergewöhnlich hohe Produktivität gegenübersteht. Dies schließt aber nicht aus, dass vergleichsweise einfache Produktionsweisen einer harten internationalen Lohnkonkurrenz ausgesetzt sind.
Denn die deutsche Industrie ist nur bei Produkten, die auch ein hohes Maß an Ingenieursleistungen enthalten, sehr stark. Wenn eine ganze Fabrik im Ausland aufgebaut werden soll, dann zählt auch die deutsche Dienstleistungstugend der Pünktlichkeit ganz besonders. Aber Autos können auch anderswo zusammengebaut werden. Zum Beispiel in Tschechien, wo die Erwerbsbevölkerung sogar besonders gut ausgebildet ist. Es ist von außen nicht beurteilbar, wie groß die Lohnkonkurrenz ist. Aber man kann davon ausgehen, dass gerade ein Konzern wie VW nicht ohne Not die Arbeitskosten senken will. Auch die Regierung kann das nicht beurteilen, der Kanzler betont zu Recht die Tarifautonomie.
Auch die Umstrukturierung des Einzelhandels sollte nicht aufgehalten halten. Es ist noch nicht mal zu befürchten, dass die Branche aus Deutschland abwandert. Wenn traditionelle Kaufhäuser durch Billiganbieter unter Preisdruck geraten, dann ist das vernünftig, denn Einkaufen ist ja normalerweise kein „Erlebnis an sich“, sondern eine Notwendigkeit des Alltags. Und „Geiz ist geil“ bedeutet, dass der Konsument Geld beim Alltagskonsum einspart, das er an anderer Stelle ausgeben kann. Das werden fast alle Konsumenten normalerweise machen, da es so gut wie niemanden gibt, der keine ungestillten Konsumwünsche hätte. Und beim Konsumenten – nicht bei den Anbietern – beginnt die wirtschaftspolitische Verantwortung der Bundesregierung. Denn als in den USA in den 90er-Jahren Einzelhandelsgiganten wie Wal-Mart das Preisniveau massiv absacken ließen, ging diese Entwicklung mit Wachstum und Konsumfreude einher.
In Deutschland hingegen sind die Verbraucher nachhaltig verunsichert, da ihnen zum Beispiel – punktuell gesehen völlig zu Recht – gesagt wird, dass sie für das Alter mehr zurücklegen sollten. Zudem trägt die bislang unzureichende Kommunikation über die Wirkungen der Hartz-Reformen nicht zur Stärkung des Wachstums bei. Preisbewusstes Einkaufen lässt Nachfrage ausfallen, das ersparte Geld wird auf die hohe Kante gelegt.
Nachdem die Konsolidierungsversuche von Hans Eichel offenkundig zu nichts anderem geführt haben als zu einem Rekorddefizit, weil Eichel die makroökonomischen Wirkungen seiner Hausvatermentalität krass unterschätzt hat, muss die Bundesregierung über ihre makroökonomische Politik nachdenken – aber nicht über Rettungsversuche angeschlagener Konzerne oder Eingriffe in die Tarifautonomie. Da durch Hartz der Arbeitsmarkt flexibler gemacht wurde und wird, dürften makroökonomische Impulse auch besser wirken als in der Vergangenheit. Während den jetzt von Arbeitslosigkeit bedrohten Erwerbstätigen nur kurzfristige Wirtschafts- und Fiskalpolitik sowie tarifpolitisches Augenmaß hilft, kann die Politik von Bund und Ländern mittel- und langfristig den nachwachsenden Generationen in Deutschland nur mit einer zügigen Verbesserung des Bildungssystems helfen. Denn die Produktion von zunehmend mehr Standardprodukten wird aus Deutschland abwandern. Und für komplexe Exportgüter brauchen wir auch komplex ausgebildete Erwerbstätige.
Gert G. Wagner ist Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaftslehre an der TU Berlin und am DIW Berlin Forschungsdirektor für Soziales Risikomanagement