Konkret nichts geplant

Die CDU rudert zurück: Über Merkels Unterschriftensammlung gegen den EU-Beitritt der Türkei ist noch nicht entschieden

VON LUKAS WALLRAFF

Ein Schritt vor, zwei Schritt zurück. So behandelt Angela Merkel die Idee, eine Unterschriftenaktion der Union gegen einen EU-Beitritt der Türkei zu starten. Nur einen Tag, nachdem sie den entsprechenden Vorstoß ihres CSU- Kollegen Michael Glos als durchaus überlegenswert bezeichnet hatte, stellte die CDU-Vorsitzende nun klar, eine solche Aktion stehe „nicht heute und auch nicht morgen auf der Tagesordnung“.

War also alles nicht so ernst gemeint? Soll man einfach schnell vergessen, worüber sich Glos und Merkel öffentlich Gedanken machten? Wurden sie falsch verstanden? Nein. Das neue Zauberwort, mit dem CDU-Politiker den Zickzackkurs erklären, heißt „Option“. Unterschriftenlisten seien eine Möglichkeit, die man nicht ausschließen wolle, sagen Merkels Parteifreunde, um den angeblich weit verbreiteten Widerstand in der Bevölkerung gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU zu dokumentieren. „Konkret ist nichts geplant“, versichert man in der CDU-Zentrale. „Eine Entscheidung für oder gegen eine Unterschriftenaktion ist noch nicht gefallen“, sagt CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach. Er selbst habe „Bedenken“, was dieses Mittel angeht. Er könne jedoch verstehen, dass sich Merkel „diese Option“ vorbehalte, „für den Fall, dass die Bundesregierung entgegen ihrer Zusagen nicht ergebnisoffen mit der Türkei verhandelt“.

Ein anderer CDU-Bundestagsabgeordneter, der Merkel nahe steht, erklärt sich das Hin und Her mit einer taktischen Bredouille seiner Chefin und einer „Verkettung unglücklicher Umstände“. Merkel sei am Sonntag gar nichts anderes übrig geblieben, als zunächst einmal grundsätzlich positiv auf den CSU-Vorschlag zu reagieren. „Wenn sie gesagt hätte, ‚so ein Quatsch‘, hätte es am nächsten Tag Schlagzeilen gegeben: ‚Der CDU-CSU-Streit verschärft sich‘.“ Merkel habe sich „ein neues Schlachtfeld im unionsinternen Streit“ neben der Gesundheitspolitik ersparen wollen, lautet die gängige Theorie, die aus der CDU gestreut wird. Ob die CSU Merkel absichtlich neue Schwierigkeiten einbrocken wollte, ist umstritten. Auf jeden Fall sei Merkel aber „intelligent genug, um die Sache jetzt wieder einzudämmen“, glaubt ihr Anhänger aus der Fraktion.

Der Grund für die Beschwichtigungen liegt weniger in der großen Aufregung, die schon Merkels erste, unkonkrete Überlegungen hinsichtlich einer Unterschriftenaktion im rot-grünen Lager ausgelöst hatten. Was Merkel zurückhaltend werden lässt, sind vielmehr die zahlreichen, negativen Rückmeldungen aus den eigenen Reihen, keineswegs nur von den üblichen Verdächtigen, wie Exverteidigungsminister Volker Rühe oder Exgeneralsekretär Ruprecht Polenz, die ohnehin nichts vom Antitürkeikurs ihrer Chefin halten.

Auch der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Matthias Wissmann (CDU), sieht in einer Unterschriftenaktion die Gefahr, dass der „gute Vorschlag einer privilegierten EU-Partnerschaft für die Türkei als Parteitaktik“ diskreditiert werde. „Wir dürfen auch keinen Religions- oder Kulturkampf entstehen lassen“, sagte Wissmann. Der Bremer CDU-Vorsitzende Bernd Neumann warnte, eine Unterschriftenaktion verhindere eine sachliche Diskussion. Thüringens CDU- Landeschef und Ministerpräsident Dieter Althaus reagierte ebenfalls skeptisch.

Noch wichtiger für Merkel: Gerade in den Bundesländern, wo demnächst Landtagswahlen anstehen, hält sich die Begeisterung in mehr als engen Grenzen. Der NRW-Spitzenkandidat äußerte sich zwei Tage lang nur durch beredtes Schweigen. Für den CDU-Vorsitzenden im Ruhrgebiet, Norbert Lammert, ist die Diskussion in der Union „hysterisch“. In Schleswig-Holstein, wo im Februar gewählt wird, erklärt der Sprecher von CDU-Spitzenkandidat Peter Harry Carstensen, man halte nichts von Unterschriftenaktionen gegen einen Türkeibeitritt, „weil wir uns mit landespolitischen Themen beschäftigen wollen“.