Göteborgs-Posten 2 : Ich bin der Jäger
taz-Autor Markus Flohr hat seinen Posten in Göteborg bezogen, wo er den Norden im Norden sucht. Heute ist er zu Fuß durch die Stadt gelaufen und hat einen Jäger getroffen.
Sicher – der norddeutsche ÖPNV ist keine Selbstbedienungsoase und hat selten etwas zu verschenken. Aber günstiger als Göteborgs Nahverkehr „västtrafik“ ist er auf jeden Fall. Denn der ist einfach zu teuer. In einer Woche haben wir gut 40 Euro ausgegeben, um die sechs Stationen täglich in die Stadt und abends zurückzufahren.
Darum sind wir heute auf dem Heimweg gelaufen. Einen kleinen Berg hoch, in Göteborg gibt es viele davon. Auf einem steht die Oscar Fredriks Kyrka (Oscar-Fredriks-Kirche), gleich daneben wohnen wir. Unterhalb der Kirche stand jemand mitten auf der Straßenkreuzung. Da, wo die Värmlandsgata auf die Fjärde Långgata trifft, ist er mit staksigen Beinen auf zwei Rollerblades langgeeiert. Er schwankte von vorne nach hinten. In der Hand hielt er etwas Rundes, leicht Längliches. Es war ein erwachsener Mann. Seine Haare waren kurz, eine enge Jacke und Hose aus Jeans zeichneten sein schlaksiges Figürchen. Es war halb sechs.
Der Mann hat angefangen, die Autos anzuschreien. Einmal, zweimal, mehrmals. Erst ein wenig, dann ein wenig mehr. „Nu är det jag som är jägaren! Jag är jägaren!“ Ein beherztes Stolpern und los ging die Schussfahrt. Die Bierdose in den Himmel geschmissen und ab! Er ist den ganzen Hügel runtergerollt, mitten durch den Feierabendverkehr, in die Innenstadt zurück. Eine Hand streckte er vor sich, sein Rücken verkrümmte sich unvorteilhaft. Mindestens sechsmal wäre er fast auf der Kühlerhaube eines Autos gelandet. Er verrollte sich durch die Spuren und Straßenseiten, immer kurz davor umzufallen oder übergemangelt zu werden. Bei Rot über die Ampel, auf den Bürgersteig, und wieder herunter. „Jetzt bin ich der Jäger! Jetzt bin ich Jäger!“
Ein paar lange Momente standen wir noch da oben, unterhalb von Oscar Fredriks Kirche auf der Värmlandsgata und haben ihm nachgeschaut. Neben uns zwei alte schwedische Damen mit Handtaschen und bunten Stoffhütchen. Die eine hatte ihre Hände vor dem Mund und rollte weit aufgerissene Augen hin und her. Hinter der Hand stand der Mund offen. Dann war der Jäger nicht mehr zu sehen. Und meine schwedische Begleiterin hat gesagt: „Göteborgs Nahverkehr ist eben einfach zu teuer“. Hat sie gesagt.
Markus Flohr