Verspätete Ehrung für eine Freiheitskämpferin

Die kurdische Politikerin Leyla Zana nimmt heute den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments entgegen

Mit fast zehn Jahren Verspätung wird Leyla Zana, bis vor wenigen Monaten noch die prominenteste politische Gefangene der Türkei, heute in Brüssel den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments entgegennehmen. Als die europäischen Parlamentarier ihrer Kollegin, die als Kurdin im türkischen Parlament gesessen hatte, den Preis zusprachen, war sie bereits mehr als ein Jahr im Gefängnis. Ihr und drei weiteren kurdischen Abgeordneten, die über die Liste der Sozialdemokraten ins Parlament gekommen waren, hatte die Staatsanwaltschaft vorgeworfen, sie würden mit der „Terror-Organisation“ PKK von Abdullah Öcalan zusammenarbeiten.

Ihre Immunität wurde aufgehoben und alle vier zu jeweils fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt. Fast zehn Jahre hat Leyla Zana abgesessen, bis sie im Mai dieses Jahres endlich freikam. Das verdankte sie vor allem ihren Kollegen in Brüssel, die sich immer wieder für ihre Freilassung eingesetzt haben.

Über die Jahre wurde Leyla Zana so zu einer Symbolfigur des kurdischen Freiheitskampfes – eine Frau, die sich gewaltfrei für die Rechte der kurdischen Minderheit einsetzte und immer darauf bestand, nichts Unrechtes getan zu haben. Deshalb hatte sie es auch mehrfach abgelehnt, aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden. Sie wollte rehabilitiert werden und sie wurde es.

Wie fast alle politischen Gefangenen, die nach langen Jahren wieder freikommen, muss sie sich jetzt wieder neu orientieren. Politisch und sozial. Die Situation in den kurdisch besiedelten Gebieten der Türkei hat sich stark verändert. Der Bürgerkrieg ist vorbei, der Wiederaufbau hat begonnen und die politischen Konstellationen sind andere.

Doch just zum Zeitpunkt ihrer Freilassung kündigte ein Teil der ehemaligen PKK an, den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen. Leyla Zana musste sich dazu verhalten, sie plädierte für ein Beibehalten des Waffenstillstandes. Nach einem Triumphzug durch mehrere Städte im kurdisch besiedelten Südosten der Türkei hat sie sich erst einmal etwas zurückgezogen.

Auch mit öffentlichen Statements ist sie zurückhaltend. Ihr letzter politischer Auftritt war ein Treffen mit EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen, als dieser im Vorfeld des letzten Berichts noch einmal die Türkei besuchte. Jetzt hat sie nach einigem Zögern innerhalb der Bürokratie – ihr Prozess ist formal noch nicht abgeschlossen – einen Pass für ihre Reise zur verspäteten Preisverleihung bekommen. Kommende Woche wird sie in einem Hearing der europäischen Grünen-Fraktion in Istanbul auftreten. Möglich, dass sie, statt sich in Parteipolitik zu verschleißen, erst einmal die internationale Bühne sucht.

Immerhin ist sie international nach Abdullah Öcalan das bekannteste Gesicht der Kurden aus der Türkei. Solange sie sich nicht von einer der konkurrierenden Fraktionen vereinnahmen lässt, wird ihr Wort in weiten Kreisen der Türkei Gewicht haben. JÜRGEN GOTTSCHLICH