: „An der Arbeitslosigkeit sind nicht die Arbeitslosen schuld“, sagt Andreas Embacher
Viele meinen, dass es den Arbeitslosen eigentlich noch zu gut geht. Stimmt das? Ein Beispiel aus der Praxis
taz: Herr Embacher, waren Sie schon mal auf einer Montagsdemo?
Andreas Embacher: Noch nicht. Ich würde teilnehmen, aber hier in Hildesheim gab es noch gar keine.
Und was war mit der Großdemonstration am 2. Oktober?
Bei meinem Budget konnte ich es mir nicht leisten, nach Berlin zu fahren.
Dabei könnte man Sie und Ihre Frau fast als Großverdiener bei der Arbeitslosenhilfe bezeichnen.
Zusammen haben wir genau 1.240,96 Euro, aber mit der Arbeitslosenhilfe kommen wir schon jetzt nicht aus.
Es gibt Leute, die haben einen Job und verdienen weniger.
Ich weiß, aber als wir noch Arbeit hatten, haben wir uns ein kleines Haus gekauft – mit 67 Quadratmeter Wohnfläche. Das war 1998, als die Häuser noch teurer und die Zinsen höher waren. Aber dafür können wir nichts!
Und das bedeutet jetzt?
Uns bleiben nur noch 200 Euro für Lebensmittel und 83 Euro für Sonstiges. Den Rest verbrauchen vor allem die Kreditzinsen und die Risikolebensversicherung, die man für den Kredit abschließen musste. Zum Beispiel bräuchte ich dringend eine Paradontose-Behandlung, aber die müsste ich selbst zahlen und das kann ich mir schon jetzt nicht leisten. Dabei ist das eine Krankheit, das hat nichts mit Zahnpflege zu tun. Ich bin ratlos, was wir tun sollen, wenn wir nur noch Arbeitslosengeld II bekommen.
Wäre es nicht am besten, das Haus einfach zu verkaufen?
Das werden wir gar nicht los! Rundum ist hier Neubaugebiet, zu Dumpingpreisen. Da werden Häuser ohne Grundstück ab 59.000 Euro angeboten, die haben etwa 110 Quadratmeter. Wenn wir verkaufen, dann haben wir Schulden, aber keine Wohnung.
Beim Arbeitslosengeld II ist vorgesehen, dass der Staat die Schuldzinsen für Häuser zahlen kann.
Davon wusste mein Betreuer im Arbeitsamt bisher gar nichts: Er könne dazu nichts sagen.
Wurde Ihnen schon ein 1-Euro-Job angeboten?
Nein. Es ist mir völlig egal, ob ich Bäume fälle oder Rasen hake. Ich würde alles machen. Aber ordentliche Arbeit muss ordentlich entlohnt werden! Da könnte ich ja auch gleich beim Biobauern gegenüber anfangen.
Warum tun Sie das nicht?
Und wovon sollen wir unseren Unterhalt bestreiten?
Die Polen sind sich doch auch nicht zu schade, bei der Ernte zu helfen.
Aber für die sieht doch die Rechnung ganz anders aus! Wenn die hier 5 Euro die Stunde verdienen, dann ist das zu Hause an Kaufkraft mindestens 8 Euro wert. Bei mir hingegen wird auch noch alles Mögliche abgezogen an Steuern und Sozialabgaben.
Minister Clement sieht das anders: So ein Job könnte Sie fördern, weil Sie Anschluss ans Berufsleben finden.
Wir brauchen keinen Anschluss finden, wir brauchen eine „normale“ Arbeit. Förderung haben wir bekommen vom Arbeitsamt, aber für was? Meine Frau und ich haben jeder dreimal das Bewerbungstraining gemacht. Außerdem wurden wir beide zum Multimedia-Assistenten ausgebildet. 17.000 Euro haben die Kurse das Arbeitsamt gekostet.
Zeigt das nicht, dass Clement Recht hat? Dass die Förderung praxisnäher werden muss – beispielsweise durch 1-Euro-Jobs?
Nein, das zeigt nur, dass es nicht genug Arbeit gibt in Deutschland. Auch die allermeisten 1-Euro-Jobber werden doch hinterher keine reguläre Stelle finden – wo denn? Das ist Arbeitsdienst! Wir bewerben uns pausenlos unter unseren Qualifikationen, ohne Erfolg.
In Bayern ist die Arbeitslosigkeit deutlich niedriger als in Niedersachsen. Warum ziehen Sie nicht nach München?
Und was wird aus dem Haus, unserer Altersvorsorge?
Aber warum sollte die Gesellschaft ewig darauf Rücksicht nehmen, dass Sie ein Haus gekauft haben, das Sie sich jetzt nicht mehr leisten können?
Ich trage keine Verantwortung dafür, dass es keine Vollbeschäftigung gibt.
Und wieso kann die Allgemeinheit was dafür?
Nicht die Allgemeinheit, sondern unsere bisherigen Regierungen sind dafür verantwortlich. Unsere Wirtschaft ist so organisiert, dass sie Arbeitslose produziert. Aber das ist doch nicht die Schuld der Arbeitslosen! Warum soll es uns also so viel schlechter gehen als allen anderen? Wir werden bestraft, dass wir in der freien Wirtschaft gearbeitet haben – während die ehemaligen Postmitarbeiter jetzt bei der Telekom durchgeschleppt werden, obwohl sie da auch nicht gebraucht werden. Beim vollen Gehalt, versteht sich. So viel verlange ich ja gar nicht. Aber es muss doch mehr sein als das absolute Existenzminimum. INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN