Lebensbejahung mit Paddel

Nach dreijähriger Pause kämpft Birgit Fischer (41) um einen Platz im Kader für Olympia 2004 in Athen. Auch der Verband erhofft sich Impulse vom Comeback der erfolgreichsten Kanutin der Welt

von MARKUS VÖLKER

Am gestrigen Mittwoch saß Birgit Fischer wieder im Kanu. Sie kletterte dazu auf einen Barhocker und zwängte sich in den Einsitzer, was einem äquilibristischen Kunstück gleichkam, denn das Boot dümpelte nicht auf dem heimischen Beetzsee in Brandenburg, sondern war auf dem Tresen eines Berliner Cafés aufgebaut. Das Kanu wurde bei dieser Gelegenheit auf den Namen „Olympia“ getauft und mit einem Schwapp Jahrgangssekt begossen.

„Ich passe ja kaum mehr ins Boot“, sagte Birgit Fischer, nachdem sie Platz genommen hatte in dem schwimmfähigen Poesiealbum. Kollegen haben verschiedene Sprüche auf dem grünen Plastikteil hinterlassen. „Fange nie an aufzuhören, und höre nie auf anzufangen“, hat die Kanutin Anett Schuck sinnigerweise geschrieben. Andreas Dittmer, Weltmeister im Canadier, wünscht unter dem Pseudonym „Stifti“ alles Gute für die Olympischen Spiele 2004 in Athen. Dort will Birgit Fischer an den Start gehen und möglichst eine Medaille im Vierer gewinnen.

Sie kommt nach drei Jahren Pause zurück und fängt bei null an. Die siebenfache Olympiasiegerin hat wochenlang überlegt, ob sie noch einmal eintreten will in die Sphäre des Leistungssports, hat die Argumente gegeneinander abgewogen und sich nun doch für eine Rückkehr aufs Wasser entschieden. Sie muss sich beeilen, um in Form zu kommen. Schon Mitte April stehen die Ausscheidungswettkämpfe des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV) an; 42 Jahre alt wird Fischer dann sein. In der Qualifikation des DKV muss sie im Einer unter die ersten sieben Paddlerinnen kommen, um sich die Chance auf eine sechste Olympiateilnahme zu erhalten.

„Wir haben alle Träume, Wünsche und Visionen“, sagt Fischer, „ich habe in Sydney auf der Höhe meiner Leistungsfähigkeit aufgehört, ohne zu wissen, wie und wo es überhaupt nach unten geht.“ Heute will sie bereits zwei Trainingseinheiten absolvieren und demnächst für fünf Tage ins Trainingslager nach Portugal reisen. „So bin ich eben, wenn ich sage, jetzt geht’s los, dann geht es auch los“, sagt Fischer.

Birgit Fischer hat in der Zeit der Pause mehrere Versuche unternommen, Fuß zu fassen. Sie arbeitete als Nachwuchstrainerin im DKV, beklagte aber, sich in dieser Funktion nicht kreativ einbringen zu können. Für die FDP trat sie 1999 bei der Europawahl an – und scheiterte. Ein Versuch in der PR-Branche gestaltete sich auch nicht übermäßig erfolgreich. Im Kanu indessen hat sie es immer weit gebracht. Da ist auf ihr Können Verlass.

Ein Sponsor unterstützt sie bis ins Jahr 2005. Ihr alter Verein aus Mannheim hat sie wieder aufgenommen. Nebenbei wird Fischer ihre Firmenneugründung promoten. Sie bietet demnächst Leistungs- und Mentaltraining an sowie spezielle Kanutouren. Publicity ob eines Comeback-Versuches kann hierbei nicht schaden. „Man muss Mut haben für diesen Schritt, Mut zur Lücke“, sagt sie. Außerdem sei mit der Entscheidung weiterzumachen bereits ein Sieg errungen, zumal „in diesen Zeiten, in denen alle nur verhalten sind und im Hintergrund lauern“. Sie stelle sich der Herausforderung. „Das hat für mich etwas mit Lebensbejahung zu tun.“

Verbandspräsident Ulrich Feldhoff hat Fischers Comeback begrüßt, kein Wunder nach dem schlechten Abschneiden der deutschen Kanutinnen bei der WM in Gainesville, wo in den olympischen Klassen keine Medaille heraussprang. Bundestrainer Josef Capousek erhofft sich von der Rückkehr Fischers ins Team „einen Ruck“, wenngleich die Nachricht über die Reaktivierung der erfolgreichsten Kanutin der Welt nicht überall Jubelstürme auslöst. Sie gilt als schwierige Athletin. „Hoffentlich kommt mit Birgit wieder frischer Wind in den Verband“, sagt Capousek dennoch.

Die lange Pause sieht Birgit Fischer nicht als Handicap, im Gegenteil. „Ich gehe vollkommen ausgeruht in den Trainingsprozess, jeder einzelne Muskel reagiert auf die neuen Reize, das ist absolut ein Vorteil gegenüber der Konkurrenz“, sagte sie. Nur mit der Kraft, da hapere es doch noch gewaltig. Das wird sich ändern, wenn ihr Kanu nicht mehr auf einem Tresen herumsteht, sondern durchs Wasser gleitet.