Trittbrettfahrerin muss in Arrest

Wegen einer gefakten Amoklauf-Ankündigung steht eine 19-Jährige vor dem Amtsgericht Delmenhorst. Die Medienvertreter sind sauer, weil sie beim Geständnis draußen bleiben müssen – und weil die Angeklagte nicht fotografiert werden darf

AUS DELMENHORST BENNO SCHIRRMEISTER

Du denkst: Gleich kommt die Kanzlerin, obwohl die natürlich gerade in Rüsselsheim weilt. Und nicht in Delmenhorst, Amtsgericht, Bismarckstraße 110. Schon eine Dreiviertelstunde vor Beginn, also um 11 Uhr, ist die Traube vorm Portal größer als der Bürgersteig breit, vier Fernsehkameras, Mikros mit und ohne Puschel, schwarze, rote, gelbe. Jede Passantin, die jünger wirkt als 30, muss gefilmt werden und gegebenenfalls ein Stückchen verfolgt und befragt. Ob sie es vielleicht ist. Die Angeklagte ist nämlich auch erst 19 Jahre und hat bereits erhebliche Gerichts- und Psychiatrie-Erfahrung.

Mädchenhaft wirkt sie, blass und schmal. Sie hat die Kapuze vom Pulli übers raspelkurze Haar gezogen, bis tief in die Stirn. Eine „verzögerte Entwicklung“ wird ihr der Vorsitzende Matthias Millek attestieren und deshalb nach Jugendgerichtsgesetz (JGG) urteilen. Angeklagt ist sie, weil sie einen Amoklauf angekündigt hat.

Eine in diesem März fast epidemisch begangene Tat: In Kiel hat die Staatsanwaltschaft gestern den ähnlich gelagerten Fall zweier Jungen aus dem Landkreis Rendsburg-Eckernförde ans Amtsgericht überstellt, in Hildesheim ist aus dem gleichen Grund ein 16-Jähriger vor zwei Wochen verurteilt worden, im April muss sich ein junger Mann in Bad Soltau verantworten. Allein in Niedersachsen soll es 30 Winnenden-Trittbrettfahrer gegeben haben. Das öffentliche Interesse ist also da.

Bloß sind die meisten Täter zu jung für die Presse. Und das lenkt das öffentliche Interesse auf den Delmenhorster Fall. Schließlich gilt das Mädchen, weil über 18 Jahre, als Heranwachsende, und dann wird vor Publikum verhandelt, verzögerte Entwicklung hin oder her. Dem Antrag des Verteidigers Bernd Idselis, die Öffentlichkeit auszuschließen, gibt Richter Millek nur teilweise statt. Und doch ist das Gemurre im Gang groß. „Die wollten doch ein Exempel statuieren“, sagt ein Agentur-Mann, das passe ja wohl nicht zusammen, wenn jetzt die Delinquentin ihr Geständnis ohne Pressebegleitung ablegt. „Schönes Exempel“, raunzt er. Fernsehleute und Fotografen wieder ärgert, dass sie Bilder von Richter, Saal, Verteidiger, ZuschauerInnen und der Staatsanwältin schießen durften. Aber eben nicht von der Angeklagten, dabei hätte man sie doch verpixelt. „Ich mache Fernsehen“, sagt eine TV-Redakteurin, „da brauche ich das bewegte Bild.“

Das allgemeine rechtspolitische Ziel, Prozess und Urteil schnell auf die jeweilige Tat folgen zu lassen, haben Anklagebehörden und Gerichte bei den Amok-Fakes verwirklicht. Auch in Delmenhorst: Keine zehn Tage ist es her, da hat die Angeklagte zwei E-Mails verschickt. An ihre ehemalige Schule die eine, an die örtliche Polizei die andere, vom Rechner ihrer Eltern aus. Mit einem Account unter dem Namen einer ehemaligen Mitschülerin, an der sie sich hat rächen wollen, weil die durch ständiges Stören ihre schulische Leistung beeinträchtigt habe. Und offenkundig inspiriert von der Winnenden-Berichterstattung: „Macht euch auf etwas gefasst“, hat in den Mails gestanden, „es wird viel Blut fließen.“

Die Gelegenheit zum letzten Wort nutzt die Angeklagte. „Tut mir leid, was ich getan habe“, druckst sie, tränenrote Augen, „mehr sag ich jetzt nicht“, da ist sie kaum noch zu hören. Das Strafgesetzbuch nennt ihr Vergehen „Störung des öffentlichen Friedens“ und zwar „durch Androhung von Straftaten“. Jugendrichter Millek wird es mit Worten qualifizieren, die das Mädchen besser verstehen dürfte: „Schäbig“, nennt er die Tat. „Und dann noch zu versuchen, jemand anderem die Suppe einzubrocken“, sagt er mit Nachdruck, „das ist wirklich ziemlich mies. Das ist unterste Kategorie.“ Vier Wochen Dauer-Arrest fordert die Staatsanwältin, vier Wochen lautet auch Milleks Urteil.

Mindestens eine Woche, höchstens vier Wochen, so bemisst das JGG die Sanktionsform Arrest. Um die schärfere Jugendstafe zu verhängen, müssten schädliche Neigungen bewiesen sein. Oder ein Verbrechen vorliegen. In der improvisierten Pressekonferenz nach dem Prozess haken die Fernsehleute aber doch noch einmal nach: Ob denn „dieses milde Urteil“ auch genügend abschrecke? „Solche Überlegungen“, entgegnet der Sprecher des Gerichts, „sind im Jugendstrafrecht unzulässig.“