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Archiv-Artikel

Eichel leiht 43.400.000.000 Euro

Kabinett billigt verfassungswidrigen Nachtragsetat 2003: Eichel will im Bundestag auf Störung des Gleichgewichts plädieren. Opposition spricht von Offenbarungseid

BERLIN ap/dpa/afp ■ Die Regierung hat die höchste Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik gebilligt. Das Kabinett verabschiedete gestern den Nachtragshaushalt von Finanzminister Hans Eichel. Er ist nun ermächtigt, 2003 Kredite über 43,4 Milliarden Euro aufzunehmen. Anfangs hatte Eichel 18,9 Milliarden neue Schulden eingeplant. Der bisherige Spitzenwert bei der Neuverschuldung wurde mit 40 Milliarden Euro 1996 unter Finanzminister Theo Waigel (CSU) erzielt.

Die Opposition warf Rot-Grün eine völlig verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik vor. Deutschland stecke in der „größten Haushaltskrise“ seit dem Krieg, sagte CSU-Landesgruppenchef Michael Glos. CDU-Haushaltsexperte Dietrich Austermann sprach von „Offenbarungseid“. Bund, Länder und Gemeinden werden 2003 und 2004 rund 20 Milliarden Euro weniger Steuern einnehmen. Die Schätzer rechnen, bezogen auf die Mai-Daten, mit etwa zehn Milliarden Euro Steuerausfällen im laufenden Jahr und 2004 mit etwa 12 bis 15 Milliarden Euro. Da Länder und Kommunen ihre Haushaltslöcher auch durch Darlehen stopfen müssen, wird die Neuverschuldung des Staates 2003 bei rund 90 Milliarden Euro liegen. Deutschland wird deshalb zum zweiten Mal die Euro-Stabilitätskriterien verfehlen, die ein Staatsdefizit von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erlauben. Eichel geht von mindestens vier Prozent aus, die EU-Kommission von 4,2 Prozent. Seine genaue Prognose will der Minister nach der Steuerschätzung am 6. November veröffentlichen. Nach Einschätzung der EU-Kommission stagniert die deutsche Wirtschaft 2003 und wird erneut zu den EU-Wachstumsschlusslichtern gehören. Das Staatsdefizit kann Eichel nach EU-Prognosen nur mit konsequenten Reformen frühestens 2005 unter drei Prozent senken.

Eichel macht für die Entwicklung riesige Steuerausfälle und hohe Ausgaben zur Bewältigung der Massenarbeitslosigkeit verantwortlich. Formal ist der Haushalt 2003 verfassungswidrig, weil die Neuverschuldung weit über den Investitionen von 26,7 Milliarden liegt. Um den Nachtragsetat durch den Bundestag zu bekommen, erklärt die Regierung die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.