Freiheit für Osterhasen

■ Hannover ist nicht gerade als Kapitale des Widersinns bekannt. Dennoch starteten hier die legendäre Rote-Punkt-Aktion, die Pogo-Partei und die KPD eine Propaganda-Rakete. Eine Schau in der Landesbibliothek beleuchtet die Anti-Geschichte der Stadt

Leserbriefe ätzten: „Sie glauben, es fehlt an Liebe, wir sagen, es fehlt an Hieben.“

aus Hannover Kai Schöneberg

„Zutiefst betrübt“ sei er, schrieb der 1. Vorsitzende der APPD an die Polizeidirektion Hannover, dass die Demo unter dem Motto „Freiheit für Osterhasen“ nicht stattfinden dürfe. „Gerade in der heutigen schweren Zeit“ sei „das Thema ‚Freiheit für Osterhasen‘ ein Problem, was uns alle angeht. Nun denn, man muss alles relativ sehen. Hochachtungsvoll.“ Natürlich gingen die Punks von der Anarchistischen Pogo Partei Deutschland trotzdem im Januar 1982 auf die Straße. Natürlich gab es Randale. Und das auch nicht zum letzten Mal.

Dass sich die Punks ausgerechnet Hannover, die Lieblose an der Leine, zum Epizentrum ihres Spaßprotests erkoren haben, passt vielleicht zu beiden Seiten: zur absurden Spröde der Stadt und zur spröden Absurdität des Punk-Seins.

Schön, dass es jetzt ausgerechnet in der spröde-spritzbetonenen Landesbibliothek eine Ausstellung mit dem Titel „Proteste an der Leine“ gibt, die die Anti-Geschichte Hannovers beleuchtet. Nein, Hannover sei nie die Hauptstadt des Widersinns gewesen, betont Ausstellungsmacher Joachim Drews. Richtig abgegangen ist es natürlich nur in Berlin, Hamburg, Frankfurt oder München. Dennoch trägt die Schau Wissenswertes zusammen.

Immerhin startete von Hannover aus 1960 der erste Ostermarsch in Richtung eines Truppenübungsplatzes bei Bergen Belsen. Und natürlich gab es hier einen Riesen-Trauermarsch für den 1967 von Polizisten in Berlin bei Anti-Schah-Protesten erschossenen Hannoveraner Benno Ohnesorg. In der Schau zu sehen sind auch Fotos von „atomwaffenfreien Zonen“ in der Südstadt, ein Zeitungsartikel über die verbotene KPD, die 1958 eine „Propaganda-Rakete“ mit Flugblättern in den Hannoveraner Himmel schoss, Anti-Gorleben-Flugblätter und Halstücher vom Kirchentag 1983, als Hunderttausende gegen den Nato-Doppelbeschluss auf die Straße gingen – in Bonn, der damaligen Kapitale der Spröde. Immerhin: Schon in den Adenauer-Jahren hatte sich in Hannover der Geist des Dagegen geregt.

Die ersten „Halbstarken“ krawallierten bereits 1953, nachdem die Polizei mit Wasserwerfern gegen Jugendliche aufmarschiert war, weil die ihre Füße in einem Brunnen gebadet hatten. Weiteren Aufruhren begegnete die bürgerliche Stadt 1956 mit harschen Protesten in den Leserbriefspalten: „Sie glauben, es fehlt an Liebe, wir sagen, es fehlt an Hieben.“

Auch die Studentenbewegung hinterließ Spuren des Widersinns an der Leine. So ist der Briefkopf der Ortsgruppe Hannover des SDS zu sehen, genau wie Bilder von der Blockade der Bild-Redaktion im Anzeiger Hochhaus im Jahr 1968. Auch einen der ersten Tränengaseinsätze hat die BRD den Hannoveranern zu verdanken.

Angefangen hatte alles mit dem Plan der Üstra, die Bus- und Bahnpreise um ein Drittel zu erhöhen. Resultat war die legendäre „Rote-Punkt“-Aktion. Studenten blockierten das Steintor – und empfingen Polizei-Hundertschaften mit dem Hitler-Gruß. Bald klebte auf jedem zweiten Auto in Hannover der Aufkleber mit dem roten Punkt („Wir siegen durch k.o. Darum Null-Tarife“) – als Zeichen für die Bereitschaft der Autofahrer, Üstra-Gegnern einen Lift zu geben.

Als der Berufsverkehr fast schon ohne Bus und Bahn vorwärts kam, lenkte die Üstra tatsächlich ein: Die Preiserhöhung wurde zurückgenommen – und kurze Zeit später, im protestunfreundlichen Winter dann doch durchgezogen. Noch ein Hannover-Phänomen: die Chaos-Tage, deren geistiger Vater auch der taz-Journalist Jürgen Voges ist. Voges hatte nämlich Anfang der 80er herausgefunden, dass die Polizei still und heimlich eine „Punker-Kartei“ angelegt hatte, um der Leute mit Irokesenschopf und Nietenhose besser habhaft werden zu können.

In der Folge erschienen nicht nur vier Herren der Grün-Alternativen Bürgerliste in Punkerkluft im Stadtrat, die Szene radikalisierte sich wirklich. Bislang war in Hannover nur das Fanzine „Hackfleisch“ erschienen, Bands wie „Hansa-Plast“ und „Abstürzende Brieftauben“ aufgetreten – jetzt besetzten plötzlich 800 Punks den zentralen Innenstadtplatz Kröpke und schlugen sich mit Polizei-Hundertschaften am Jugendzentrum Glocksee. Auch warum die Chaos-Tage Mitte der Neunziger plötzlich abflauten, verrät Ausstellungs-Macher Drews: „Nachdem die Punks 1995 den Penny in der Nordstadt geplündert hatten, wurde das Polizeigesetz verschärft und die Punks am Bahnhof gleich wieder in die Züge gesetzt.“

Proteste an der Leine, Niedersächsische Landesbibliothek, Mo-Fr 9 bis 18, Sa 9 bis 13 Uhr, Eintritt frei, bis 3. Januar