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Archiv-Artikel

DIE JUSTIZMINISTERIN MACHT SICH ZUR GEHILFIN DER FORSCHUNGSLOBBY Ein sinnvolles Tabu gebrochen

Mit den Reaktionen nach dem Vorstoß von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) zur Frage der Rechte von Embryonen im Labor kann sie zufrieden sein: Ihr Versuchsballon, den sie mit Rückendeckung von Kanzler Gerhard Schröder aufsteigen ließ, hat gewirkt wie erhofft. Nicht, dass sie nicht mit harschem Protest vor allem aus der Union und den Kirchen gerechnet hätte.

Aber das war auch zweitrangig. Ein Tabu sollte fallen. Der Embryonenschutz wird durch Zypries nach dem parteiübergreifenden Bundestagsbeschluss des Vorjahres mit seinen strikten Regeln für den Gebrauch von Stammzellen politisch langsam aufgeweicht. Das nennt man Salamitaktik.

Dabei stimmt nachdenklich, dass eine Justizministerin sich zur Gehilfin der Forschungslobby macht. Und das, obwohl auch in der jetzt einsetzenden Diskussion der logische Bruch in ihrer Argumentation nicht ausgeräumt ist: Warum soll ein Embryo ihrer Meinung nach in vitro ein Zellklumpen mit bestenfalls eingeschränkter Menschenwürde sein, während er im Mutterleib die volle Menschenwürde besitze – also dem Verbrauch, sagen wir es: dem Töten entzogen werden muss?

Ganz bewusst stellt das Grundgesetz die Würde des Menschen absolut. Zu Recht haben auch die Grünen in einer ersten Reaktion auf den Vorstoß der Ministerin festgestellt, dass es nicht Embryonen erster und zweiter Klasse geben dürfe – je nachdem nämlich, wo sie existieren, in vitro oder in vivo. Grundsätzliche ethische Definitionen dürften nicht „auf dem Basar der Tagespolitik“ landen, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck. Zu Recht. Zumal es, wie nun immer klarer wird, therapeutisch derzeit gar keine Notwendigkeit gibt, die bisherigen Grenzen der Stammzellenforschung zu erweitern. Warum ein sinnvolles Tabu brechen, und das ohne Not?

Karlsruhe hat in seiner Rechtsprechung festgelegt: Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu. Wer an diesem Grundsatz mit juristischen Spitzfindigkeiten rüttelt, sollte bessere Gründe haben als das Kapitalinteresse einiger Biotech-Firmen. PHILIPP GESSLER