: Schröder sieht Gaddafi als Chance
Seit gestern Abend weilt der Kanzler beim libyschen Staatschef: „Ohne Zweifel“ sei dessen Heimat „ein sehr interessanter Markt“. Daheim in Berlin warnt ein vereinzelter FDP-Politiker vor einem „Wettlauf um die Gunst“ des einstigen Oberterroristen
AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF
Man mag von der Libyen-Reise des Kanzlers halten, was man will: Es gibt viele Gründe, die demonstrative Aufwertung eines diktatorischen Regimes unappetitlich bis unerträglich zu finden. Aber eines muss man dem Kanzler lassen – er tut gar nicht so, als sei er in humanitärer Mission unterwegs. Schröder hat klar gesagt, worum es ihm geht, wenn er Muammar al-Gaddafi heute in einem Wüstenzelt trifft. „Vor allen Dingen“, erklärte Schröder vor seiner gestrigen Abreise, werde er von einer großen Wirtschaftsdelegation begleitet. Libyen, so der Kanzler, sei „natürlich ein wichtiges Land und für Deutschland und die deutsche Wirtschaft ohne Zweifel ein sehr interessanter Markt“.
Schröders Helfer in Berlin, die den deutschen Pressetross gestern auf die Reise einstimmten, erläuterten denn auch zunächst einmal ausführlich, welche Chancen sich in Libyen bieten. Nach der Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen das finanzstarke Öl-Land habe man längst nicht alle Anfragen von Industrievertretern befriedigen können, die mit nach Tripolis fliegen wollten. Allein von Aufträgen zur Modernisierung der libyschen Rohölförderanlagen verspreche sich die Wirtschaft Einnahmen von 350 Millionen Euro. Da kann man schon ins Schwärmen geraten – und andere Aspekte für nicht ganz so wichtig erklären. Die Frage etwa, ob der frühere Terrorunterstützer Gaddafi inzwischen „gesellschaftsfähig“ sei, hält man in den Regierungskreisen, die den Kanzler beraten, für „unangebracht“. Schließlich habe Gaddafi dem Terror abgeschworen und auf Massenvernichtungswaffen verzichtet. „Wenn wir ihn nicht für gesellschaftsfähig hielten“, so die Schröderisten, „würde der Bundeskanzler keine Gespräche mit ihm führen.“
Noch Fragen? Ja, die gab es – von einer bulgarischen Journalistin, die sich um das Schicksal von Krankenschwestern aus ihrem Land sorgte, die in Libyen wegen angeblicher Verbreitung von Aids zum Tod verurteilt wurden. „Sie können ganz sicher sein“, wurde ihr versichert, „dass der Bundeskanzler nicht nur das Thema Menschenrechte ansprechen wird“, er werde sich auch „insbesondere“ für die Begnadigung der bulgarischen Krankenschwestern einsetzen.
Grundsätzliche Kritik an den Verhältnissen in Libyen ist vom Kanzler und seinen Leuten freilich nicht zu hören. Ein Hinderungsgrund für die Aufnahme von „normalen“ Beziehungen sind sie aus rot-grüner Sicht sowieso nicht. Die Kritik am Demokratiedefizit und der Menschenrechtssituation in Libyen sei zwar „berechtigt“, sagte der grüne Außenpolitiker Ludger Volmer der taz. Aber: „Man kann nicht jedes Land schneiden, in dem einem die innenpolitischen Verhältnisse nicht gefallen.“
Die Union signalisiert bisher Zustimmung – durch Schweigen. Nur dem FDP-Außenpolitiker Werner Hoyer geht die rot-grüne Haltung zu weit. „Wenn die europäische Politik jetzt übereilt in eine Art Wettlauf um die Gunst Gaddafis eintritt“, so Hoyer zur taz, „gibt sie jegliche Anreize und Druckmittel für die dringend erforderlichen politischen Reformen in Libyen aus der Hand.“