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: Träumende Bücher

Wenn einem die Fantasie schon so ungebärdig und unbändig in alle möglichen Richtungen ausschlägt, so dass man schreibt wie ein Autorenkollektiv aus Terry Pratchett, Douglas Adams und einer Magnumflasche Absinth, dann muss man sich wohl enorme künstliche Beschränkungen auferlegen. Deshalb spielt der neueste Roman von Walter Moers zwar den Erwartungen seiner Fans entsprechend wieder auf dem fantastischen Kontinent Zamonien, doch ist dieses Mal die gesamte Geschichte um eine einzige große Zentralmetapher herum gegliedert: die Literatur und ihre physische Manifestation, das Buch. „Die Stadt der Träumenden Bücher“ ist die Stadt Buchhain, die nur aus Verlagen, Buchhandlungen und Antiquariaten zu bestehen scheint, und in der sich alles um alte und neue Bücher dreht.

Das ist ein Wagnis, birgt es doch die Gefahr der Wiederholung und Erschöpfung. Doch gerade in der selbst auferlegten Beschränkung beweist sich das kreative Genie dieses Autors. Das Konzept trägt bis zum Schluss und der Roman wird so zu einer Hymne auf Bücher und auf das, was in ihnen steht. Freunde von kniffligen Literaturrätseln können Stunden und Tage über der Entschlüsselung anagrammatisch verdrehter Autorennamen verbringen, die nicht selten mit ihren berühmtesten Versen zitiert werden, direkt von Walter Moers aus dem Zamonischen übersetzt.

Ähnlich wie im Vorgänger „Rumo“ ist der Schauplatz in eine Ober- und eine Unterwelt eingeteilt, in diesem Fall Buchhain sowie die labyrinthischen Katakomben dazu, angefüllt mit Büchern, lebenden wie gefährlichen, mit Bücherjägern, Buchlingen und sonstigen Buchmonstern. Doch diesmal orientiert sich die räumliche Ordnung vor allem an der Struktur eines alten Antiquariats. Die Idee zu „Die Stadt der Träumenden Bücher“ entstand, als Walter Moers bei einer Reise durch Amerika nach Büchern von H. P. Lovecraft suchte. Indem er die albtraumhafte Monsterwelt der Erzählungen von Lovecraft mit den verwinkelten und verstaubten, schlecht beleuchteten und selbstverständlich bis an die Decke mit Büchern voll gestopften Gängen obskurer und weniger obskurer Buchhandlungen kombinierte, wurde ein weiterer unheimlicher Teil von Zamonien geboren.

Natürlich muss es ein Dichter sein, der durch diese aus Papier und Worten getürmte Welt wandert. „Die Stadt der Träumenden Bücher“ ist der erste Teil der Autobiografie des zamonischen Schriftstellers Hildegunst von Mythenmetz, der dem geneigten Moers-Leser bereits durch das Märchen „Ensel und Krete“ bekannt sein dürfte. Diesmal schildert Mythenmetz, wie er sich auf die Suche nach dem perfekten Dichter machte und dabei für sich selbst dichterische Inspiration, auch Orm genannt, erlangte. Dass sein Weg dahin mit haarsträubenden Abenteuern sowie Legionen der absonderlichsten Kreaturen gepflastert ist, versteht sich von selbst.

Auch in seinem mittlerweile vierten Zamonienroman gelingt es Walter Moers, erneut literarisches und fantastisches Neuland zu betreten. Es ist nicht die große und überwältigende Liebeserklärung an die Fantasie und das Geschichtenerzählen geworden wie „Die dreizehneinhalb Leben des Käpt’n Blaubär“ und auch nicht das wahn-witzige Schlachtenepos wie „Rumo“. Aber es ist ein neuer Pageturner mit der Verlässlichkeit des Moers-Siegels, ein klares Muss vor allem für jeden Literaten, Literaturbetriebsangehörigen, Bücherliebhaber und natürlich jeden passionierten Leser und vielleicht wieder einmal eines von jenen seltenen Büchern, die dazu verführen, noch mehr Bücher zu lesen.

Nicht einfach nur den nächsten Moers, der uns, so das Orm will, wieder zurück nach Zamonien bringen wird, sondern irgendein Buch, denn, das hat der Schriftsteller Walter Moers einmal mehr bewiesen: Literatur lebt und macht lebendig.

SEBASTIAN DOMSCH

Walter Moers: „Die Stadt der Träumenden Bücher“. Roman. Piper Verlag, München 2004, 456 Seiten, 24,90 Euro