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Archiv-Artikel

Buntes Allerlei in der Bezirksliga

Rund um die Landeshauptstadt tönen zwei Dutzend Musiktheater. Aber auch die starke Konkurrenz der Nachbarländer ist zu hören. Guter Wille und manch interessanter Gedanke sind an Rhein und Ruhr immerhin vorhanden: Über den durchwachsenen Saisonstart der Opernhäuser in NRW

VON FRIEDER REININGHAUS

Dicht und abwechslungsreich ist die Musiktheaterlandschaft an Rhein und Ruhr. Im Umkreis von zwei Autostunden rings um Düsseldorf lassen sich zwei Dutzend Opernhäuser finden. Die konkurrieren zum Spielzeitauftakt um die Gunst des örtlichen Publikums und überregionale Aufmerksamkeit. Bei allen ist durchaus guter Wille vorhanden und manch interessanter Gedanke – aber alles und insgesamt weit entfernt vom internationalen Niveau, das nebenan – ebenfalls gut zu erreichen – die Opernhäuser spielen: in Amsterdam derzeit mit Arrigo Boitos „Mefistofele“ oder Brüssel mit der von Kazushi Ono dirigierten, von Robert Wilson bebilderten und inszenierten „Aida“.

Utopie in Münster

Wolfgang Quetes, neuer Intendant in Münster, holte erstmals Giacomo Meyerbeers „Le prophète“ nach Westfalen – dorthin, wo die Handlung dieser Grand Opéra spielt. Es geht um eine heftige sozial-religiöse Bewegung in der Reformationszeit, die die arme Landbevölkerung am Niederrhein und in Westfalen erfasste. Die „Täufer“ verfochten ein radikales Egalitätsprinzip, erhoben Münster 1534/35 zum „neuen Jerusalem“ und unabhängigen „Königreich“. Kaiserliche Truppen bereiteten der zum Terror eskalierenden Täufer-Herrschaft und deren Würdenträgern ein grässliches Ende. Für seine gradlinige Erzählweise der komplexen Zusammenhänge ließ Quetes einen Bühnenraum bauen, der an den Eingangsbereich des nahe gelegenen Theater-Parkhauses erinnert: Ein aufgeschnittenes Oktogon – Beton-Architektur mit einem Stück Treppe, die in tiefes Blau getaucht wurde. Es ist dasselbe Blau, das Berthès Kleid schmückt und so die Braut des Schankwirts Johann Bockelson, der in die Funktion des Propheten und Königs gedrängt wird, optisch aus dem Aufmarsch der armen Leute heraushebt. Und die muten an, als stammten sie – ebenso wie die Bewaffneten der verschiedenen politischen Gruppierungen – einem Sozialdrama Gerhart Hauptmanns. Die allzu unbedarfte Regie nutzte die Massenszenen in keiner Weise. Sie schlägt schließlich den Bogen zum großen Vernichtungswerk eines anderen Kleinbürgers und Diktators: Bilder des im 2. Weltkrieg zerbombten Münster krönen das Finale auf geschichtslehrsame Weise.

Karneval auf Schalke

An ein groß dimensioniertes Werk wagte sich zum Spielzeit-Auftakt auch das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen: „Benvenuto Cellini“ von Hector Berlioz. Regisseur Baesler nutzt das Hohe Lied auf die barocke Lebensweise des Kunsthandwerkers Cellini und den unter äußerstem Druck zustande kommende Guss seiner Perseus-Statue (Rom, Aschermittwoch 1530) für viel chorisches Karnevals-Treiben, Gehampel und Torkeln auf die Bühne sowie die ruhr-romantische Verklärung der Arbeitswelt vor dampfendem Hochofen. Unsäglich die neuen deutschen Dialoge von Intendant Peter Theiler. Unzulänglich das Dirigat von Samuel Bächli.

Gute, böse Onkels in Essen

Heiterer und kleinformatiger ging es in Essen zu. Dort präsentierte die neue Philharmonie eine Jugendoper von Felix Mendelssohn Bartholdy: „Der Onkel aus Boston“ – die bereits erstaunlich versierte, aber eben auch ein bisschen altkluge Arbeit eines 14-Jährigen, die ursprünglich für den familiären Rahmen der großbürgerlichen Mendelssohns gedacht war. Helmuth Rilling engagierte sich für diese Fußnote der Musikgeschichte des frühen 19. Jahrhunderts und erntete stürmischen Applaus mit Musik, die heute so wundersam idyllisch wirkt.

Sabotiert wurde auf hinterlistige Art alle Idylle von Friedrich Cerhas „Keintaten“ und der Miniature-Folge „Eine Art Chansons“, die im Rahmen eines „Jubiläumsmarathons“ zum 15. Geburtstag der Gesellschaft für Neue Musik Ruhr ebenfalls in der Philharmonie zu Gehör kamen: Dramatische Musik im Kammerformat, die in hohem Maß von der Stimme des HK Gruber lebt, der Wiener Grundgestein ist. Er greint und nölt, besingt mit trüber Melancholie den Tod – der bekanntlich ein Wiener ist – oder erfreut mit seiner hellen Schadenfreude. Das Ensemble Resonanz pointiert vom Kontrabassstrich bis zum Beckenschlag die Brechungen. Der 78jährige Komponist moderierte eigenhändig als Dirigent.

Obsessionen in Kölner Küche

Die Küche bringt es an den Tag: die Obsessionen der Prinzessin Salome, die in Köln – einer stark Berlinernden Mode folgend – wieder einmal rüde verkleinbürgerlicht wurde. Momme Röhrbeins Bühne orientiert sich am Einrichtungs-Schick der benachbarten Fußgängerzone, Katharina Thalbachs Inszenierung in moderater Weise am Berliner Sprechtheater-Level. Camilla Nylund entfesselt den Schleiertanz als Küchenfee mit dem Geschirrtuch. Sie kleckert sich die Marmelade auf die Brüste, die Herodes lecken darf. Der Kopf des Jochanaan kommt mit dem Essensaufzug aus dem Schlachtkeller hoch: „Man töte dieses Weib“. Markus Stenz nutzt die deftige Musik aus vom Anfang des 20. Jahrhunderts, als Richard Strauss noch ein rechter Revoluzzer war.

Im Bonner Bordell

Das sibirische Straflager Dostojewskis erscheint in Tomaz Pandurs Bonner Inszenierung von Leos Janáceks „Aus einem Totenhaus“ als Installation von vier Plateaus, die sich arhythmisch auf und ab bewegen. Eng kann es da für die Männer werden, die nur mit schwarzer Reizwäsche und etwas SM-Zubehör bekleidet sind: Homoerotische Körperertüchtigung allenthalben. Während der Berichte der Gefangenen aus ihrem Vorleben wird tätowiert. Vor allem flimmern unablässig Bilder, Zahlen- und Buchstaben-Folgen über alles, was sich an Projektionsfläche bietet. Der zweite Akt wird ganz als Stummfilm genommen und mit sowjetischem Wochenschau-Material bestückt. Die Helden, das soziale Engagement, das menschliche Anrühren – das alles ist abgeschafft im Theater dieses Typs, das die Musik nurmehr als Tonspur zu seinen hektisch, frenetisch bewegten Bildern bedient. Als verbliebener positiver Wert erscheint die Homophilie: die letzte heilige Kuh des Theaters. Roman Kofman und das Beethoven-Orchester bleiben der Partitur allzu viel schuldig. Vor allem Präzision.