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Archiv-Artikel

Identitätsentwürfe

„Geschichten vom Vögeln“ und andere Erfolge: Freies Kinder- und Jugendtheater aus Hildesheim ganz vorn

Der höchst dotierte Preis für die freie Szene geht gleich doppelt nach Hildesheim

Der Förderpreis für Kinder- und Jugendtheater der Niedersächsischen Lottostiftung, bundesweit der höchst dotierte Theaterpreis für die freie Szene, geht in diesem Jahr gleich doppelt nach Hildesheim: Theater Karo Acht, das für seine Produktion „Geschichten vom Vögeln“ ausgezeichnet wurde, und Theater R.A.M. mit seinem Hörstück „Die Lauscher“ teilen sich das Preisgeld von 20.000 Euro.

Die Lottostiftung vergibt den Preis in Kooperation mit dem Landesverband Freier Theater seit 1998 für die besten aktuellen Inszenierungen der freien Szene in Niedersachsen. Im jährlichen Wechsel wird er für die Sparten Kinder-, Jugend- und Erwachsenentheater ausgeschrieben. In diesem Jahr hatten sich 25 Gruppen beworben, wovon sechs in die engere Auswahl kamen. Sie konkurrierten jetzt bei einem Festival vor einer Fachjury im Theaterpädagogischen Zentrum Lingen um den begehrten Preis.

Die Mitglieder von Theater R.A.M. können ihr Glück immer noch nicht richtig fassen: „Für uns ist der Preis so besonders, weil ‚Die Lauscher‘ unser erstes Kinderstück ist“, sagt Manuela Hörr. „Die Lauscher“, das sind Frau Plong und Herr Pling. Weil sie die Lizenz zum Hören haben, laden sie ein in ihre „Hörbar“ und feiern mit „sprudelnden Tonquellen und leckeren Geräuschcocktails“ den „Tag des offenen Ohrs“. So ist „Die Lauscher“ kein traditionelles Theaterstück, sondern vielmehr eine „Hörreise“. Mark Roberts und Manuela Hörr haben unter der Regie von Hartmut Fiegen viele musikalische Elemente in die Geschichte integriert. Hintergrund ist die zunehmend mangelnde Hörfähigkeit von Kindern.

Auch „Geschichten vom Vögeln“, das in Koproduktion mit dem Stadttheater Hildesheim entstand, ist kein konventionelles Stück. Theater Karo Acht wollten auf keinen Fall ein „Aufklärungsstück“ über Pubertät machen, sondern das Thema Sexualität in der Jugend möglichst klischeefrei wiedergeben – mit Unsicherheiten und der Suche nach einer passenden Sprache. Die vier AkteurInnen kommunizieren daher in kleinen Szenen wie in Versuchsanordnungen mit Handys und per SMS. Fast natürlich haben sich verschiedene Typen herauskristallisiert, die für diverse Identitätsentwürfe und Entwicklungsstadien stehen.

Angesichts der aktuellen Etatkürzungen der niedersächsischen Landesregierung für die freie Kultur ist der Förderpreis für Karo Acht und R.A.M. gleich doppelt wichtig: Als AbsolventInnen des Studiengangs „Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis“ der Hildesheimer Uni verstehen sie den Preis auch als Würdigung des so genannten Hildesheimer Modells, das eine enge Kooperation zwischen Stadttheater, freier Szene und Universität zum Ziel hat. „Und doch haben wir alle Angst vor dem nächsten Jahr“, sagt Julia Hermann von Karo Acht.

Hörr, die seit neun Jahren hauptberuflich freies Theater macht, will optimistisch bleiben: „Schließlich macht sonst keiner mobiles Theater, das die Leute da erreicht, wo sie sind. Ein Kinder- und Jugendstück zu Weihnachten an den staatlichen Theatern ein Mal im Jahr ist zu wenig.“

Kerstin Fritzsche