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Archiv-Artikel

Stau im Flaschenhals

Freie Beschäftigungsträger haben Jobs zu vergeben, aber keine Bewerber. Nun drohen massive Einbußen. Schuld ist das Ein-Euro-Programm

von EVA WEIKERT

Für Hamburgs freie Beschäftigungsträger war 2003 bisher ein schweres Jahr. „Bei uns wird es richtig eng“, sagt Holger Stümpel, ehemaliger Geschäftsführer und heute Berater bei „Kooperation und Lernen“ (Koala) in Altona. Einen Grund für die Misere sieht er im Ein-Euro-Programm, mit dem der Rechts-Senat Sozialhilfeempfänger zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet. Stümpel beklagt: „Der Zwangsdienst verursacht Unterbeschäftigung.“

Koala rechnet für 2004 mit einem Erlösrückgang von 32 Prozent gegenüber 2002. Der Grund: Anfang des Jahres kürzten Wirtschaftsbehörde und Arbeitsamt kräftig die Stellen.

Jede fünfte Stelle ist nicht besetzt

Hinzu kommt, dass die öffentlichen Zuwendungen durch Pro-Kopf-Pauschalen ersetzt wurden. „Ein Risiko für uns“, sagt Stümpel, „denn bei Unterbeschäftigung bleibt das Geld aus.“

Genau der Fall ist bei Koala eingetreten. Laut Stümpel konnte 2003 bisher jede fünfte Stelle nicht besetzt werden. Er kritisiert: „Das Ein-Euro-Programm bremst uns aus.“ Dabei wird Hilfeempfängern eine gemeinnützige Beschäftigung wie etwa Unkrautjäten zugewiesen, für die sie einen Euro pro Stunde kriegen. Wer sich weigert, dem wird die Stütze gekürzt oder gar gestrichen. Zudem ist es Voraussetzung, um einen sozialversicherungspflichtigen Job auf dem zweiten Arbeitsmarkt zu bekommen wie eine Stelle nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), Paragraph 19, die neben Arbeit soziale Stabilisierung bietet.

Früher konnte sich ein Hilfeempfänger direkt bei einem der rund 20 freien Träger in Hamburg um eine solche Stelle bewerben. Heute muss er vorher beim städtischen Beschäftigungsunternehmen Hamburger Arbeit (HAB) das Ein-Euro-Programm absolvieren. Ein Missstand aus Sicht von Wolgang Völker, sozialpolitischer Referent beim Diakonischen Werk. „Die Hilfeberechtigten müssen das Auswahlrecht haben.“

Beim Träger Quadriga ist seit Juni eine von sechs BSHG-19-Stellen unbesetzt, mit denen ein Café im Jenfelder Bürgerhaus betrieben wird. Die Sozialbehörde zahlt weiterhin die Pauschale für den unbesetzen Arbeitsplatz – vorausgesetzt, der Träger meldet regelmäßig Bedarf an. „Darum schreibe ich alle zwei Wochen einen Brief an die HAB, mit der Aufforderung zur Vermittlung“, sagt Quadriga-Prokurist Thomas Augustin. „Das ist eine Farce.“

Weil die rund 800 Plätze bei der HAB nicht ausreichen, müssen Hilfe-Empfänger für den nahezu unbezahlten Job sogar Wartezeiten in Kauf nehmen. Zugleich bleiben bei den freien Trägern Stellen unbesetzt. Quadriga-Prokurist Augustin berichtet: „Immer wenn bei uns jemand ausschied, hatte die HAB keinen, der das Ein-Euro-Programm absolviert und das passende Profil hatte.“ Den freien Trägern werde der Zugang zu Arbeitslosen versperrt, rügt auch eine Mitarbeiterin beim Träger Abakus, die namentlich nicht genannt werden will. Und Berater Stümpel moniert: „Die HAB ist ein Flaschenhals.“ Zudem schaffe das „Wahnsinns-Konzept 100 Prozent mehr Verwaltungsaufwand“.

Teilnehmer sitzen das Programm ab

Die HAB versucht den Stau aufzulösen, indem sie Teilnehmer als Praktikanten zu den freien Trägern schickt, wo diese das Programm fristgemäß beenden und anschließend in die ersehnte BSHG-19-Stelle rutschen. Stümpel sagt: „Die Leute müssen das Programm absitzen.

Solche Vorwürfe will die HAB nicht auf sich sitzen lassen. Sprecherin Heike Baumann versichert, Praktika seien die Ausnahme. „Wenn wir rechtzeitig wissen, dass bei den freien Träger etwas frei wird, vermitteln wir.“

Dabei haben die privaten Träger der HAB freiwillig das Monopol auf den Zwangsdienst überlassen. „Wir meinen, dass Arbeit freiwillig geleistet werden soll“, sagt Quadriga-Prokurist Augustin. Das Ein-Euro-Programm stelle alle Sozialhilfeempfänger unter den „Generalverdacht der Arbeitsverweigerung“, empört sich Koala-Berater Stümpel. Mehr als jeder zweite Teilnehmer bricht das Progamm ab oder tritt erst gar nicht dazu an. Den Grund sehen Kritiker in der geringen Bezahlung. Stümpel meint: „Das erstickt jede Motivation.“