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Archiv-Artikel

Lithurgie in der Wildwasserbahn

26 Jahre lang reiste Schausteller-Pfarrer Klaus Biehl von Jahrmarkt zu Jahrmarkt, predigte in Bierzelten und auf Autoscootern. Jetzt geht er in Rente – und feierte ein letztes Mal Gottesdienst mit den Schaustellern vom Freimarkt

Während der Predigt ruft ein Herr das „Frollein“ und bestellt noch drei Bier für sich und seine Freunde. Sie stoßen an. Dann das „Vater unser“. Die Männer stellen ihre Gläser ab und falten die Hände. „Dein Wille geschehe“, raunt es durch das Brauhaus. Es ist Mitternacht und die Bremer Schausteller feiern Gottesdienst auf dem Freimarkt – einmal in zwei Wochen Rummel kehren sie nach Feierabend ins Bierzelt ein und hören Gottes Wort.

Pfarrer Klaus Biehl hat ein bauchiges Holzfass zum Altar erkoren und es zum Kopf des Raumes gerückt. Aus einer Plastiktüte hat er weiße Tücher, Altarkerzen und ein Kreuz geholt und das Weinfass damit geschmückt. Nun steht er hinter dem Gefäß und betrachtet seine Gemeinde, die raucht und trinkt und betet.

Klaus Biehl ist Circus- und Schaustellerpfarrer der evangelischen Kirche für Norddeutschland. Seit 26 Jahren reist er von Frühlingsfest zu Weihnachtsmarkt, von Zirkuszelt zu Festplatz. Tauft und traut, konfirmiert und beerdigt. Und feiert Gottesdienste mit seinen Schäfchen auf jedem Rummel im Norden. An diesem Abend predigt er ein letztes Mal auf dem Bremer Freimarkt. Im Februar wird Klaus Biehl 65, dann hört er auf.

„Es sind Menschen, die nicht festgelegt denken und arbeiten“, sagt Biehl über Schausteller und Zirkusleute. Das mag er und folgt ihnen auf ihren Reisen von Ort zu Ort. Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg – das ist seine Gemeinde. Ungefähr 45.000 Kilometer fährt er im Jahr, einmal rund um die Erde.

Dabei zieht er einen Wohnwagen hinter seinem Auto her. Der ist sein Schlafplatz, sein Gemeindesaal, sein Jugendraum. Doch, er hat auch einen „richtigen“ Wohnsitz, ein Haus in der Nähe von Bremerhaven. Aber dort ist er nicht oft, mal einen Tag, mal zwei Tage am Stück, erzählt der schmale Mann mit Brille und hoher Stirn. Der Pfarrer spricht tief und rhythmisch. Mit seinen glatten Händen wirbelt er nicht, sondern malt durch die Luft.

Manchmal sehnt er sich nach einer Kirche, sagt Biehl. „In einer Kirche kann man still werden und Ruhe finden.“ Das ist auf dem Jahrmarkt schwierig, zwischen „Power Tower“ und Wildwasserbahn. Aber nicht unmöglich, meint Biehl. Er möchte, dass die Schausteller in seinen Gottesdiensten einkehren und abschalten, auch bei der Andacht am Autoscooter oder in der Geisterbahn. „Man muss flexibel sein für diesen Beruf.“

Wenn er wissen will, was seine Schäfchen bewegt, geht Biehl über den Rummel. Er fragt an Ständen und Wohnwagen nach Gemüt und Geschäft. „Wenn einer in Ruhe mit mir reden will, setz’ ich mich auch mal zu ihm ins Kassenhäuschen, da hört uns ja keiner.“ Die Probleme der Schausteller seien ähnliche wie bei jedem anderen Menschen auch: „Wirtschaftliche Zwänge, Schuldgefühle, Liebeskummer, Einsamkeit.“ Um Gott oder Glauben geht es dann und wann. „Die Schausteller sind nicht mehr oder weniger christlich als der Rest von Deutschland.“ Eine „normale“ Gemeinde mit Küster, Chor und Seniorenkreis hat Klaus Biehl sich nie gewünscht. Er fühlt sich frei, wenn er unterwegs ist. „Ich mag den Geist der Freiheit auf den Plätzen und Märkten. Natürlich sind weder die Schausteller noch ich so frei, wie wir denken, aber immerhin – wir leben in der Illusion.“

Auf die Rente freut er sich. „Dann können meine Frau und ich endlich mal mit dem Wohnmobil rumfahren und die Welt erkunden“, sagt der Mann, der 26 Jahre lang unterwegs war. Am Ende des Gottesdienstes verkündet er den erstaunten Schaustellern: „Ich will jung sterben.“ Und setzt lächelnd nach: „Aber im hohen Alter“. Dorothea Siegle