: Das Spektakel als Monument
Thomas Ravens verschränkt bei WBD die Ansicht von fiktiven Plätzen und einer kaum definierten Gesellschaft. Dabei verschwindet vor lauter Kunstfertigkeit manchmal das Interesse am Gegenstand
von HARALD FRICKE
Der Aufbau ist denkbar einfach. Im Vordergrund schaut man in einen quaderförmig aufgeklappten Raum, über dem eine zweite, manchmal auch dritte Ebene schwebt, die sich perspektivisch zum rechten Bildrand hin verjüngt. So haben Architekten schon immer die Entwürfe ihrer Gebäude in ein Straßenambiente eingefasst, so wurden seit der Renaissance öffentliche Plätze zeichnerisch erfasst. Nur das Schweben von Menschengruppen oder abstrakt verschlungenen Haushaltsobjekten ist nicht ganz auf Linie, aber das waren Futurismus und de Chiricos Pittura Metafisica auch nicht.
Die Tuschezeichnungen, Aquarelle und Ölgemälde, die bei WBD zu sehen sind, lassen gar keinen Zweifel. Thomas Ravens ist ein sophisticated artist, der aus ziemlich allen Quellen schöpft. Das macht seine Arbeiten zu einer Quizshow für angehende Kunsthistoriker: Habe ich die Liegewiese aus farbigen Plastikbahnen, auf der sich ein Dutzend Männchen ausgestreckt hat, nicht schon einmal auf der documenta gesehen? Vielleicht sind die Streifen aber auch aus einem Designkatalog der Siebzigerjahre, als tolles Retromuster, das zu den prilblumigen Wohlfühldekorationen der Clubs passt, wo Nacht, Leben und Lounge ineinander übergleiten. Nur nach einer Tanzfläche sucht man vergebens, statt dessen chillen die Miniaturfiguren bei Ravens in ihrem fliegenden Party-Ufo über einer in grünen Tupfern und Pinselstrichen aufgelösten Hügellandschaft.
Doch das ist auch nur eine Möglichkeit zur Freizeit unter vielen. Zwei Zeichnungen weiter versammeln sich gewaltige Menschenmengen in einer Arena, die von dreckigen Wohnblöcken und eisengrauen Laufstegen eingerahmt wird. Die Massen strömen einem weißen Rechteck im Cinemascope-Format entgegen. Freiluftkino oder Kundgebung? Man weiß es nicht. Denn Ravens verschränkt in seinen Bildern immer wieder mit Geschick die Ansicht von fiktiven Plätzen und einer nicht genauer definierten Gesellschaft, die auf ein Ereignis zu warten scheint. Dabei kommt ihm der Stillstand auf Papier sehr gelegen: Das Spektakel selbst ist zu einem Monument geworden, egal ob als Rockkonzert, Filmpremiere, Sightseeing-Tour oder Kunstevent.
Dennoch sind die Zeichnungen nicht bloß Illustrationen für die Richtigkeit der Texte aus der guten alten Zeit des Situationismus. Guy Debords Exerzitien zur Kulturindustrie dürfte der 1964 geborene Ravens schon Ende der Achtziger gelesen haben, als er in Bielefeld Linguistik und Philosophie studierte. Danach kam bei ihm aber die Ausbildung an der HdK, wo sich mit der künstlerischen Praxis immer wieder neu die Frage nach Positionierung stellt: Soll ich mitmachen im System oder widerstehen?
Die Entscheidung ist bei Ravens nicht eben eindeutig ausgefallen. Die Faszination an den schillernden Errungenschaften der Erlebniswelt hält er zwar auf Distanz, indem er sie auf die Größe von Spielzeugmodellen herunterschraubt und wie eine Folge von Comicszenen aufreiht. Aber in dem detailbesessenen Blick liegt auch Verniedlichung, wenn nicht Fetischismus. Manchmal verschwindet vor lauter Kunstfertigkeit das Interesse am Gegenstand, dann sind die Nuancen eines in zahllosen Brauntönen abgestuften Ornaments aus Deckenplatten wichtiger als der mit Menschen gefüllte Raum darunter – auch oder gerade weil dort nichts geschieht.
Andererseits geht es Ravens mit seinen Settings nicht um Abbilder von Wirklichkeitserfahrung. Die Gebäude sind erfunden, aus unterschiedlichen Quellen zusammenmontiert, die nun als Guckkasten dienen, oder wie es in einem Begleittext heißt: „Auf der Suche nach dem Genius Loci begegnet man dem Schizo Loci.“ Angefangen hat es bei Ravens 1995 mit Zeichnungen zu den Länderpavillons auf der Biennale in Venedig. Stets sieht man eine Person, die aus einem der Gebäude auf den Betrachter zugeht, während von der Architektur im Hintergrund nur eine abstrakte Mauer übrig geblieben ist, deren nationale Zuordnung man lediglich an der Signatur erkennen kann: Das war „Spanien“, jetzt kommt „Dänemark“. In dieser ziellosen Abfolge spiegelt sich die Ortlosigkeit wider, die einem alle zwei Jahre im Zentrum der internationalen Kunst entgegenschlägt – im Rausch des Events lösen sich die Konturen auf, an die Stelle von diskursiven Unterscheidungen tritt eine gleichgültige Pluralität, irgendwo zwischen Fachmesse und Leistungsschau.
Ravens weiß, dass diese Kritik auch Teil des Marktes ist. Die Darstellung der Probleme mit dem Geschäft gehört zum Geschäft. Deshalb aber mit Zeichnen aufhören? Auf keinen Fall. Auch die neuen Arbeiten haben diesen gewissen teuflischen Glanz der Oberfläche, jede Zeichnung ist wie der freudige Blick in eine Pralinenschachtel. Vielleicht erkennt der Betrachter am Ende, dass er sich selbst betrachtet hat in den schicken Szenarien des Kunstbetriebs, der bei Ravens zur allgegenwärtigen Nutzlandschaft geworden ist; vielleicht wird Ravens demnächst aber auch Szenen seiner eigenen Ausstellungen mit ins Eventprogramm aufnehmen können. Noch war er auf keiner Biennale oder documenta vertreten, aber das kann sich ändern, dafür sind seine Zeichnungen gut genug.
Bis 8.11., Do., Fr., Sa. 16–19 Uhr; WBD, Brunnenstraße 9, Mitte