: Gegen schnelles Geld durch Gensoja
Langsam, aber sicher wächst auch in Brasilien der Markt für Öko-Lebensmittel. Im Bundesstaat Rio Grande do Sul gibt es bereits 140 Ökomärkte. Doch noch erliegen viele Bauern dem Soja-Rausch. Das bringt mehr Einnahmen und macht weniger Arbeit
AUS PASSO FUNDO GERHARD DILGER
Ana Mesavilla steht in ihrem Garten und schneidet Kopfsalat. Tochter Joanize und ihr Freund Thiago binden Lauch-, Zwiebel- und Petersilienbüschel. Anschließend verpacken sie Eier und Käse für den Ökomarkt in Passo Fundo, einer Großstadt im brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul.
Jahrzehntelang nutzten die Mesavillas ihre 8 Hektar Land zum Anbau von Mais, Maniok, Reis, Bohnen und Soja. Herbizide und Kunstdünger waren für sie selbstverständlich. Ihr Obst- und Gemüsegarten diente ebenso wie die Rinder- und Hühnerzucht der Selbstversorgung. Bereits vor Eröffnung des Ökomarkts vor sechs Jahren verbannte die Familie die Chemie aus ihrem Garten, und seither diversifiziert sie ihre Produktion mit Hilfe von Agronomen des Zentrums alternativer Volkstechnologien (Cetap).
Die maßgeblich von Misereor unterstützte Organisation berät seit 1986 Kleinbauern aus der Region, die sich von dem sozial problematischen und umweltschädlichen Modell der „Grünen Revolution“ abwenden wollen. „Mit dem Vormarsch der mechanisierten Landwirtschaft wurde vielen Kleinbauern die Existenzgrundlage entzogen“, beschreibt Cetap-Mitarbeiter Alvir Longhi die Entwicklung. „Es kam zu einem regelrechten Kult der Soja- und Mais-Monokultur und zu einem großen Verlust der Artenvielfalt, die bis dahin das ökologische Gleichgewicht garantiert hatte.“
Sämtliche Nachbarn der Mesavillas wirtschaften heute nach diesem „konventionellen“ Modell, das mittlerweile ganz im Zeichen der Gensoja steht. Wo immer sich die Gelegenheit bietet, werden neue Felder angelegt, denn noch sind die Produktionskosten niedriger und die Umweltschäden begrenzt. „Der Soja-Rausch der letzten drei Jahre hat unsere Arbeit nicht leichter gemacht“, sagen die Cetap-Experten. Bis 2003 war die kommerzielle Nutzung der Gentechnik in Brasilien untersagt, doch aus Argentinien war jahrelang Monsanto-Saatgut nach Rio Grande do Sul eingeschmuggelt worden. In dieser Woche legalisierte Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die diesjährige Aussaat erneut per Dekret – über eine Gesetzesgrundlage wird noch immer im Kongress gestritten.
„Soja bringt schnelles Geld“, erklärt Ana Mesavilla, „und macht viel weniger Arbeit als Ökolandbau. Doch wir haben uns dagegen entschieden, weil wir unabhängig bleiben wollen. Und durch den Ökomarkt haben wir jede Woche ein gesichertes Einkommen.“
„Die konventionelle Landwirtschaft verlangt die Spezialisierung auf wenige Produkte und Sorten“, sagt Olmir Sgarbossa auf einem Treffen der Ökobauern. „Wir dagegen müssen auf Vielfalt setzen – dann verkaufen wir auch mehr.“ Der 35-jährige Kleinbauernaktivist hat bereits 1996 den Schwenk zum nachhaltigen Landbau eingeleitet, nachdem er zweimal mit Vergiftungssymptomen im Krankenhaus gelandet war. Er selbst pflanzt 15 verschiedene Maissorten an.
In Brasilien wächst die nachhaltige Landwirtschaft langsam, aber sicher: In ganz Rio Grande do Sul gibt es bereits 140 Ökomärkte, jeder zehnte Kleinbauer stellt derzeit auf Landbau ohne Kunstdünger und Pflanzengifte um. „Immer mehr Menschen wollen gesund essen“, weiß Ana Mesavilla. „Um unsere Zukunft mache ich mir keine Sorgen.“
Ökonomische Sicherheit durch Öko-Landwirtschaft ist ein hohes Gut in einer Region, in der wirtschaftliche Probleme deutliche Spuren hinterlassen. Auch in den Armenvierteln von Passo Fundo sind Arbeitslosigkeit, Drogenhandel und Kriminalität auf dem Vormarsch.
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