: Wo sind die Vibratoren?
Karstadt am Hermannplatz lud zur „Ladies Night“, und viele Damen kamen – zum Schauen und Sekt-Trinken, zum kollektiven Epilieren und Pokern. Die Herren wurden hinauskomplimentiert, der Sex kam etwas zu kurz
Oh yes, it’s ladies night / and the feeling’s right / oh yes, it’s ladies night / oh what a night (oh what a nigh-igh-ight)! Und wie wenig die schicken Klamotten, die Kool and the Gang auf dem Cover der Platte von 1979 tragen, zu Karstadt am Hermannplatz passen! Macht aber nichts. Die „Ladies Night“ im Neuköllner Lieblingskaufhaus entwickelt am Dienstag ganz schnell eigenwilligen Charme. Gegen 20 Uhr kommt eine freundliche, aber bestimmte Durchsage an die Herren, das Haus bitte jetzt entweder zu verlassen oder bis 22 Uhr in der Fitnessabteilung umsonst zu trainieren: „Männerhort“ nennen die Gastgeber das, und es ist noch nicht ganz klar, wie viel Ironie dahinter steckt.
In den folgenden zehn Minuten sieht man, wie Mitarbeiter charmant die letzten Kerle hinauskomplimentieren, die in der Hoffnung auf den Anblick von enthemmten, kreischenden Frauen vor Umkleidekabinen noch zwischen Buch- und Strumpfhosenabteilung herumlungern. Ärger gibt es dabei nicht. Dafür aber schnell an der Warteschlange der „Leonardo“-Bar im ersten Stock: Eine an einigen Gesichtsecken und -enden sichtbar zusammengetackerte Dame im Pelz wagt es, sich vorzudrängeln, um ihren Blue-Curaçao-schwangeren Drink im 80er-Jahre-Cocktailglas für drei Euro (inklusive Glas!) entgegenzunehmen. Aber nicht mit der Neuköllnerin!
Bevor der Wortwechsel, geführt in Berliner und osteuropäischem Dialekt, zu blutig wird, wandert man weiter, um das immer noch im Gehörgang feststeckende „If you hear any noise / it ain’t the boys / it’s ladies night uh huh!“ durch Gegenmusik tilgen zu lassen: Zwischen Schlipsen und Pullundern spielt das Damen-Streichquartett Heinrich in weißen Glitzer-Prom-Kleidern Wiener Klassik, und im „Kleingerätebereich“ im zweiten Stock wiegt sich das Trio Muzet Royal zu Tango und ehemaligen Zigeuner-, jetzt Sinti-und-Roma-Weisen, und apropos Kleingeräte: Wo sind eigentlich die Vibratoren? Wo die Lesben? Wo die enthemmten kreischenden Frauen? Na, es ist ja erst halb neun.
Zeit für die Bettenabteilung und den wackeren Croupier am „Ladies-Poker-Tisch“, der angesichts der kichernden Damen mitsamt ihrer Fragen – „Wann sagt man denn jetzt Mau?“ und „Was ist nochmal ein Flush?“ – einigermaßen die Contenance behält. Am Ende einer langen Partie weiß tatsächlich fast jede der Pokerfaces zwischen 25 und 60 (mit deutlichem Ü40-Überhang), wann man „Raise!“ sagt. Als Preis für die Siegerinnen der penunzenfreien Lernpartien (der Chips-Einsatz wird gestellt) winken kleine Polyesterkissen, ohne Bezüge, die gibt’s aber direkt daneben, so ein Zufall. Und man will ja auch nicht klagen: Hier am Pokertisch kostet der Sekt nur einen Euro, jedoch – ein Stockwerk höher wird Prosecco für lau ausgeschenkt, von zwei Jungs, die immer wieder versichern, welch einen Traumjob sie dort ausüben. Schließlich will man die Kundinnen bei Kauflaune halten. Und falls man darüber sinniert, was denn Karstadt eigentlich bei einer „Boys Night“ bieten würde: Ein paar Minikleider liefen bestimmt herum, wenn nicht sogar Wet-Karstadt-T-Shirt-Contests. Bei den Ladies bleibt es dagegen sauber hausfrauenkompatibel und weitgehend heterosexfrei. Außer den legal anwesenden Mitarbeitern haben sich allerdings ein paar Männer mit der hawaiianischen Tanztruppe ins Haus geschmuggelt und wiegen zwischen den Adidas-Sneakers in der Schuhabteilung zu wogenden Exotikaklängen ihre nicht vorhandenen Hüften, während die Hände fließende Sä- und Winkbewegungen machen, und ob es der Schaumwein ist, die Freude über das Polyestersofakissen oder die Hawaiiblumen: Das ist alles sehr lustig.
Leider hat die recht burschikos wirkende Wahrsagerin Lady Zara, die Zelt und Glaskugel in der Damenbekleidung aufgebaut hat, schon um viertel vor zehn keine rechte Lust mehr auf anderer Leute Zukunft. Auch das kollektive Epilieren mit Braun-Geräten musste man verpassen, weil einem die etwas verloren wirkende Perlen-Bastel-Präsentation in der Kurzwarenabteilung so leid tat. Aber das wird nicht die letzte „Ladies Night“ sein. Und beim nächsten Mal schmuggelt man sich am besten einen Flachmann mit rein. Oder eine Flachfrau. JENNI ZYLKA