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Archiv-Artikel

„Ich bin Berufshomosexueller“

Robert Kastl

„Persönlich bin ich hundertfuffzigprozentig schwul, da gab es nie auch nur ein vages Interesse, mit einer Frau etwas zu machen“ „Wenn die Medien den CSD auch als politisches Ereignis transportieren, haben wir gewonnen. Und wenn sich alles finanziert, ist es kein Unglück, sondern überlebenswichtig“

Schon 1997 organisierte der 1971 geborene Robert Kastl den Christopher Street Day (CSD) in seiner Heimatstadt Wien. Vor vier Jahren zog er nach Berlin, auch weil der österreichische Markt nicht so groß sei, als dass man als Berufsschwuler dort leben könnte. Das gelingt ihm hier besser. Seit drei Jahren ist Kastl mit seiner Marketingagentur Mitorganisator des Berliner CSD. Er ist einer der einflussreicheren Homosexuellen der Hauptstadt. Schon jetzt beginnen die Vorbereitungen für den CSD 2004. Wichtiger aber ist Kastl der Erfolg Berlins bei der Kandidatur um die Gay Games, dem Weltsportfest der Schwulen und Lesben im Jahr 2010.

Interview JAN FEDDERSEN

taz: Herr Kastl: Wir sitzen im Berio, einem Café im Motzstraßen-Viertel, das überwiegend schwule Männer besuchen. Wie würden Sie dieses Café als Szenelokal erkennen, wüssten Sie nicht, dass es eines ist?

Robert Kastl: Am Personal, am Publikum.

Wie können Sie das wissen?

Ich weiß es nicht. Man erkennt sich. Und es funktioniert. Man sieht es auf den ersten Blick. Kleidung, Figur, Aussehen überhaupt, der Blickkontakt.

Was ist in Ihrem ersten Blick enthalten?

Etwas Fragendes, Forschendes. Ich guck eine andere Person an, bestimmt oft herausfordernd. Und ich will gucken, was zurückkommt. Ich glaube jedenfalls, dass Schwule und Lesben sich daran erkennen, dass ein Blickkontakt etwas länger dauert. Dass es eben nicht en passant ist.

Hat dieser Modus etwas Sexuelles?

Unter Umständen. Aber nicht ausschließlich. Aber da schwingt immer eine Komponente des Sexuellen mit, sonst würde der Blickkontakt nicht so lange dauern.

Der Blick könnte auch als verhuscht, als indirekt, flüchtig und flüchtend gedeutet werden.

Ja, vielleicht war das früher so. Heute drückt dieser gewisse Blick Selbstbewusstsein aus. Ich merke es ja an mir selbst. Man traut sich, nicht nur verstohlen wegzublicken, sondern genau zu gucken.

Klingt wie ein Blick des Begehrens.

Nein, das lass ich mir nicht in den Mund legen. Es hat nix mit Begehren, sondern mit einem Statement nach außen zu tun.

Sind Lesben und Schwule glücklich?

Ja, das ist meine persönliche Überzeugung. Ich bin glücklich. Lebe offen schwul. Bin ja auch Berufshomosexueller, arbeite in dem Umfeld und schaffe es trotzdem noch, Heterofreunde zu haben, also nicht nur im schwullesbischen Umfeld …

Umfeld? Manche sagen, es sei ein Ghetto.

Das ist diffamierend. Niemand ist eingesperrt, aber wer schwul oder lesbisch ist, hat nun mal ein natürliches Interesse, andere Schwule oder Lesben kennen zu lernen. Das sind die Umstände, nichts sonst.

Brauchen Sie Heterosexuelle überhaupt noch?

Klar, es belebt auf jeden Fall.

Was ist heterosexuell?

Sexuell das andere Geschlecht zu begehren.

Können Sie verstehen, dass Menschen so empfinden?

Verstehen schon. Persönlich bin ich hundertfuffzigprozentig schwul, da gab es nie auch nur ein vages Interesse, mit einer Frau etwas zu machen. Mit dem zwölften Lebensjahr war ich aufgeklärt, rein technisch, hatte zwei Jahre später begonnen, meine schwule Sexualität auszuleben. Schwul zu sein hab ich früh akzeptiert.

Und Ihre Eltern?

Das offizielle Gespräch gab es erst mit achtzehn, aber sie haben es schon vorher mitbekommen. Schwulenzeitschriften lagen offen in meinem Zimmer herum. Und meine Eltern sind ja nicht doof – sie werden es gewusst haben, ehe ich achtzehn wurde. Sie werden es verdrängt haben, das machen Eltern ja gerne so.

Haben Sie sie akzeptiert?

Ja, gleich. Da gab es nichts, was hätte diskutiert werden müssen.

Sind Ihre Mutter und Ihr Vater stolz auf ihren berufshomosexuellen Sohn?

Glaube schon. Auf das, was er erreicht hat, aber das hat wohl nichts mit meiner Homosexualität zu tun.

Haben Ihre Eltern nie bedauert, von Ihnen keine Enkel geschenkt zu bekommen?

An diesem Punkt hat meine Mutter am längsten geknabbert. Andererseits hofft sie noch. Bei mir ist der Kinderwunsch ja viel stärker als bei meinem heterosexuellen Bruder.

Möchten Sie Vater werden?

Gerne.

Sie erwähnten, einiges erreicht zu haben. Was?

Ich habe meine eigene Firma aufgebaut – und in der schwullesbischen Community eine gewisse Position aufgebaut. Darauf kann man stolz sein.

Möchten Sie ein Stück Sahnetorte bestellen?

Nein, jetzt nicht. Sie scheinen ja nicht dem schwulen Körperwahn zu frönen.

Sie denn?

Ich weiß nicht, so ganz ist man doch nie unabhängig von den sozialen Normen.

Ist es für Sie schön, schwul zu sein?

Finde schon. Man genießt eine gewisse Freiheit, die man als Hetero nicht hätte, schätze ich.

Was muss man sich als Heterosexueller unter dieser Freiheit vorstellen?

An den Sex zu kommen, den man will, wenn man möchte. Es ist dann unpersönlicher, anonymer, aber für die Triebbefriedigung reicht es allemal.

Ist es wichtig, den Trieb zu stillen?

Sicher.

Würden Sie unglücklich werden, wäre Ihnen das verwehrt?

Ich will es mir nicht vorstellen. Es gibt ja alle möglichen Strategien, den Trieb anders auszuleben. Die Frage stellt sich aber nicht wirklich. Die Möglichkeiten nutze ich immer mal wieder aus.

Können Sie auf die Befriedigung von Wünschen verzichten?

Fragen Sie in sexueller Hinsicht?

Wenn Sie es möchten.

Na ja, ich gehe nicht jeden Abend aus, in eine Sauna, in den Park oder ins Pornokino. Ich finde es aber ganz angenehm, dass es in der schwulen Welt einfach ist, den Trieb zu befriedigen. Mit jeder anderen Form des Genusses ist es doch auch so: dass man mal verzichtet, um die Lust beim nächsten Mal intensiver empfinden zu können. Kommt doch alles auch in Schüben.

Sind Lesben anders?

Es fällt mir schwer, mich in sie hineinzuversetzen. Mein Eindruck ist, dass sie meist viel mehr auf Beziehung bauen, auf Romantik, weniger auf das Sexuelle.

Lesben tun oft so, als seien sie deshalb die besseren Menschen.

Glaube ich nicht. Sexualität ist doch nicht negativ. Wie eine Beziehung emotional aussieht, ist eine ganz andere Frage. Ich würde die Treuefrage vom reinen Sex losgelöst betrachten.

Das gälte auch, wenn Ihr Lebensgefährte Christian aus Wien nach Berlin zieht.

Ja. Eindeutig.

Weshalb soll er nach Berlin kommen?

Weil eine Fernbeziehung auf die Dauer nicht fern sein sollte.

Sie sind selbst vor vier Jahren aus Wien gekommen. Warum?

Als ich in Wien 1997 den CSD organisiert hab, war das toll. Eine Erfüllung eines Traums. Man konnte gestalten, weil alles neu war. Und formen, denn es gab keine alten Wahrnehmungen wie in Berlin. Insgesamt betrachtet ist der österreichische Markt jedoch nicht so groß, als dass man als Berufsschwuler dort leben könnte. Das wird noch kommen, aber dafür muss sich Wien noch entwickeln.

Sie sind seit dem Jahre 2001 mitverantwortlich für den Berliner CSD. Seitdem scheint die Homo Parade immer kommerzieller, ja pornografischer geworden zu sein.

Im Gegenteil. Der pornografische CSD war vor fünf Jahren, als die Pornoproduktionsfirma Cazzo recht heftige Szenen nachgestellt hatte. Dieses Jahr gab es nur schwule Partyveranstalter, die auf dem CSD mit viel Fleisch sich in Szene setzen – weil sie werben wollen. Dann gibt’s einige Organisationen aus der Leder- und Fetischszene, die sich öffentlich darstellen – als politisches Statement. Man muss das akzeptieren. Die meisten Gruppen schaffen es aber, sich auch ohne Pornografie zu präsentieren.

Die Kritik, auch aus der Homostadtillustrierten Siegessäule, lautete, der CSD sei zu kommerziell.

Zu kommerziell? Viele Bars haben keine direkte politische Botschaft – wozu auch? Aber sie verstehen schon ihre Teilnahme als politisch – dass es sie als Bars gibt. Die Siegessäule fand den CSD zu hetero.

Bitte?

Ja, dass am CSD inzwischen zu viele Heterosexuelle teilnehmen. Ich freue mich drüber. War ja immer unser Anliegen, die Heteros zum CSD zu bewegen.

Warum ist der CSD noch wichtig?

Um einmal im Jahr zu zeigen, dass es in der schwulen und lesbischen Welt Elemente gibt, die der bürgerlichen Homogemeinde nicht so passen. Es ist zwar richtig, dass Homosexueller immer „normaler“ werden – und einmal im Jahr werden alle Facetten gezeigt. Man muss den CSD inzwischen auch gegen Schwule in Schutz nehmen, die sagen, der CSD sei zu schrill, zu tuntig, allzu viel nackte Haut.

Freuen Sie sich noch auf einen CSD?

Ja, jedes Jahr neu. Es ist ein erhebendes Gefühl, an einem CSD-Tag um 18 Uhr auf die Siegessäule zu klettern, um zu sehen, dass alles voller Leute ist, knallvoll. Das macht stolz – es mal wieder geschafft, aber auch, etwas bewegt zu haben. Es wird immer kritische Stimmen geben, aber die Masse spricht für sich.

Ist das vor allem eine Freude, ein Produkt namens CSD gut vermarktet zu haben?

Ein Produkt ist es auch, gewiss. So sind die Zeiten. Auch eine Agenda 2010 ist ein Produkt, was vermarktet wird.

Der Kreuzberger CSD-Umzug ist auch ein Produkt?

Ja, nur anders profiliert. Betriebswirtschaftlich und kommunikationswissenschaftlich muss es hier wie dort stimmen. Es geht ja immer um Geld. Die Balance hinzubekommen nervt gelegentlich am meisten: Einerseits soll es nicht so kommerziell sein, andererseits soll das Programm immer besser werden.

Welches Produkt finden Sie gelungen? Das politische oder das kommerzielle?

Sowohl als auch. Wenn die Medien den CSD auch als politisches Ereignis transportieren, haben wir gewonnen. Und wenn sich alles finanziert, ist es kein Unglück, sondern zum Überleben wichtig. Meine Aufgabe ist, das wachsende Selbstbewusstsein von Schwulen und Lesben mit dem Produkt CSD zu unterstützen.

Sie erarbeiten die Kandidatur Berlins um die Gay Games mit – das deutet darauf hin, dass Sie so schnell nicht wieder nach Wien zurückgehen.

Ich lebe in Berlin. Immer lieber. Auch unabhängig von den Gay Games, ob wir den Zuschlag kriegen oder nicht.

Berlin – Ihre zweite Heimat?

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