: Das Fieber der Ringe erfasst die Faustkämpfer
Bei den deutschen Meisterschaften der Amateurboxer steht der Kampf um die Startplätze für die Olympischen Spiele im Vordergrund
WISMAR taz ■ Das kleine Kraftpaket tänzelte auch nach seinem Final-Sieg beschwingt durch die Halle. Witali Tajbert, ein 57 Kilogramm leichtes Box-Männchen, hatte viele Hände zu schütteln und in viele Kameras zu lächeln. Noch eine Stunde nach seinem Final-Sieg bei den 81. Deutschen Meisterschaften der Amateurboxer in Wismar harrte er in seiner schweißgetränkten Arbeitskleidung aus. Es schien so, als wollte der Federgewichtler den Moment des Erfolges nachhaltig konservieren. Er sagte: „Das war ein wichtiger Schritt in Richtung Olympia. Von Athen träume ich jeden Tag. So wie wir alle.“
Olympia, das magische Wort. Das Fieber der Ringe hat längst auch die Zunft der Faustkämpfer erfasst. Lakonisch hatte Bundestrainer Helmut Ranze vor den Titelkämpfen seine Schüler in die Pflicht genommen: „Wir können es uns nicht leisten, Vorrunden-Leichen nach Athen zu schicken. Nur wer Deutscher Meister ist, hat gute Chancen.“ Was folgte, waren Leistungen, die den Trainerstab befriedigten, aber nicht berauschten. „Leider ist vor allem die taktische Qualität bei einigen außen vor geblieben“, sagte Ranze. Die Konsequenz: Das frühe Ausscheiden namhafter Akteure wie Steffen Kretschmann und Norman Schuster aus Halle. „Sie werden es jetzt schwer haben“, meinte Ranze.
Der Boxlehrer wirkte alles andere als zufrieden. Zu groß ist die Bedeutung des Olympia-Kaders, als dass man über „lasche Einstellungen hinwegsehen könnte“, formulierte Ranze. Der Anspruch ist gewachsen, nachdem die Deutschen bei den Weltmeisterschaften in Bangkok fünf Medaillen gewonnen hatten. Für Athen beansprucht Jürgen Kyas, Sportwart des Deutschen Box-Verbandes (DBV), eine Medaille, insgeheim träumt er von drei Plaketten: „Für das Amateurboxen geht es bei Olympia um Sein oder Nichtsein.“
Poetische Worte, die auch Witali Tajbert vernommen hat. Der 21-Jährige aus Velbert, als Weltmeisterschaftszweiter von Bangkok höchstdekorierter Athlet im DBV-Aufgebot, wurde in Wismar als bester Techniker ausgezeichnet. In den oberen Gewichtsklassen schaffte ein Brüderpaar aus Frankfurt an der Oder den Sprung ins Rampenlicht. So gewann der 24-jährige Olympiadritte Sebastian Köber im Superschwergewicht seinen ersten Titel, während sein 19-jähriger Bruder Stefan im Schwergewicht gewann. Prompt bastelten die Reporter Klitschko-Gedächtnis-Reportagen. In den unteren Gewichtsklassen verteidigten vor 1.200 Zuschauern die Olympiakader Rahimov (Schriesheim/Fliegengewicht) und Sipahi (Wolfenbüttel/Halbwelter) ihre Titel. Auch sie eint der Traum vom olympischen Festival der flinken Fäuste.
Und was passiert danach? Witali Tajbert, der kleine Riese, erhält fast wöchentlich Anrufe von professionellen Box-Promotionen. Was er von seiner Zukunft erwarte? „Glück und Gesundheit.“ Über einen Profi-Vertrag verlor er kein Wort, es war die branchenübliche Zurückhaltung. Ohnehin haben sich die Profi-Organisationen dazu verpflichtet, vor Olympischen Spielen keine Abwerbungsversuche zu starten, wenngleich Universum-Manager Peter Hanraths sich Stärken und Schwächen potenzieller Neuverpflichtungen genauestens notierte. Schon jetzt erwächst Skepsis, Wechsel-Diskussionen würden die Athleten vom eigentlichen Ziel ablenken: „Die jungen Boxer brauchen einen freien Kopf, man sollte ihnen Zeit geben“, sagte Karl-Heinz Köber, Trainer des Frankfurter BC. Oder wie es Weltmeister Markus Beyer, prominenter Zuschauer in Wismar, mit pädagogischer Weitsicht formulierte: „Die Jungs sollten sich das genau überlegen.“ Es folgte ein Auszug aus dem boxerischen Volksmund: „Lieber ein sehr gut bezahlter Amateur als ein schlecht bezahlter Profi.“ RONNY BLASCHKE