Grüne und DGB kalt erwischt

Die Grünenspitze merkt, dass Kritik an Attac angesichts von 100.000 Menschen auf der Straße blöde wirkt. Der DGB gibt zu, dass er einfach Schiss hatte, dass keiner kommt

BERLIN taz ■ Die Agenda 2010 verantworten – nun gut. Aber den Protest dagegen verunglimpfen – so nicht, meinen die Münsteraner Grünen. Deshalb greift der Kreisverband nun die Fraktions- und Parteisprecherinnen Katrin Göring-Eckardt und Angelika Beer dafür an, dass sie vor der Demonstration deren Organisatoren so scharf kritisiert haben. Die Münsteraner Sprecherin Bianca Samberg erklärte gestern: „Die Kritik der Demonstranten an den Hartz-Gesetzen und der Gesundheitsreform sowie die Forderung nach einer Vermögensteuer sollten wir Grünen besser aufgreifen, als uns schroff abzugrenzen.“

In einem Brief an die Grünen-Spitzen erklären die Münsteraner, dass etwa die in den Hartz-Gesetzen festgelegte Absenkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau übrigens Parteitagsbeschlüssen widerspreche. Sie beantragen, auf dem Dresdner Parteitag Ende dieses Monats über eine „Bilanz der Sozialreformen“ zu diskutieren.

Die Fraktionschefin Göring-Eckardt erklärte gestern der taz, sie habe nie die Demonstration selbst kritisieren wollen. „Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass die von den Einschnitten Betroffenen ihre Betroffenheit zum Ausdruck bringen.“ Der Aufruf zur Demonstration jedoch habe „sich davor gedrückt, dass es einfach wirtschaftliche und demografische Probleme gibt“. Der „aktivierende Sozialstaat“ müsse handlungsfähig bleiben – auch „in Zeiten, in denen es weniger zu verteilen gibt“-

Natürlich aber, sagte Göring-Eckardt, wollten die Grünen den „Dialog“ mit Attac weiter betreiben. Es falle sowohl den Münsteraner Grünen wie auch Attac und Gewerkschaften schwer, außer den Einschnitten auch „die Angebote“ in der Agenda 2010 zu erkennen. Darüber wolle sie gerne auf dem nächsten Parteitag diskutieren. Im Übrigen – dies als Wink nach Münster – „glaube ich, dass man mit der Vermögensteuer nicht so weit kommt wie mit einer Reform der Erbschaftsteuer“.

Damit wählte Göring-Eckardt gestern einen deutlich anderen Ton als die gesammelte Grünen-Spitze vor der Demonstration. Beer hatte Attac „maßlose Polemik“ und „absolute Orientierungslosigkeit“ vorgeworfen, Göring-Eckardt von einem „Aufruf der Besitzstandswahrer“ gesprochen. Die andere Fraktionssprecherin, Krista Sager, ließ sich am Wochenende damit zitieren, Attac tue sich keinen Gefallen, „nun auch noch den Widerstand gegen die Sozialreformen organisieren zu wollen“.

Gegen den Kurzschluss „Regierungspolitik gleich Sozialabbau“ wehrt sich auch die Grüne Jugend. Die ist zwar gerade bei Attac eingetreten, hat jedoch nicht zur Demo aufgerufen: „Wir wollten uns nicht innerparteilich auf die Blockiererseite stellen, sondern im Gespräch mit den grünen Vorderen bleiben“, erklärte Felix Tintelnot vom Vorstand der Grünen Jugend gestern der taz.

Bei der Demonstration sei „keine klare Linie zu erkennen“ gewesen. So habe die Grüne Jugend die Äußerungen der Chefinnen zwar „unglücklich“ gefunden, „aber an einer Demonstration gegen die Bundesregierung konnten wir uns nicht beteiligen“. Einen Widerspruch zwischen Attac-Beitritt und Demo-Zurückhaltung erkannte Tintelnot nicht: „Wir kämpfen auf verschiedenen Ebenen.“

Ganz ähnlich klingt die Rechtfertigung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) dafür, dass auch er nicht mit aufgerufen hat. „Getrennt marschieren, gemeinsam Erfolge erzielen“, fasste DGB-Sprecher Hilmar Höhn gestern die Strategie zusammen. Die Agenda 2010 sei eh beschlossene Sache: „Wir können keine Politik gegen eine 95-prozentige Bundestagsmehrheit machen“, erklärte Höhn der taz. Deshalb habe der DGB das Thema gewechselt: „Wir konzentrieren uns auf die Tarifautonomie, damit nicht auch die Löhne ins Rutschen geraten.“

Die Gewerkschaftsspitzen sind seit dem Frühjahr verängstigt: Der bundesweite Aktionstag „Reformen, ja – Sozialabbau, nein danke!“ am 24. Mai fand wenig Echo, die veröffentlichte Meinung klopfte wochenlang auf den „Blockierern beim DGB“ herum. Deshalb hat der DGB die Demonstration den Landesverbänden der Einzelgewerkschaften überlassen. „Wenn wir komplett mobilisiert hätten und es wären weniger als 350.000 oder so etwas gekommen, hätte man uns auch bloß wieder bescheinigt, die kriegen nichts hoch“, sagte Höhn. ULRIKE WINKELMANN