: Zwischenrufe aus Gotteskoog
„Man trägt etwas mit sich herum und möchte wissen, was andere dazu sagen.“ Deshalb schreibt Carsten Martin Johannsen, der bis ins vergangene Jahr noch Pferde züchtete, zuhause auf seinem Hof in Nordfriesland Gedichte über das, was ihn bewegt oder stört. Häufiger über Letzteres
aus Gotteskoog Alexander Diehl
„Man wird gestoßen“, sagt Carsten Martin Johannsen, „wo das Schicksal einen hinhaben will.“ Dabei lächelt der 58-Jährige und wirkt nicht, als beklage er sich über ein ausgesucht schlimmes Los. „Man muss sensibel sein“, sagt er an anderer Stelle und erklärt das mit einer Aufgeschlossenheit gegenüber der Welt, in der man lebe, und den Themen, die sie hergebe. Immer wieder spricht er von der Freiheit, von Gerechtigkeit – und von der Schöpfung und dem nötigen Respekt davor.
Als Nordfriese brauche er den freien, allenfalls vom Deich begrenzten Blick, so Johannsen, „der gehört zur Landschaft“. Das hat er gemein mit seinen Nachbarn, deren Häuser hier draußen ein gutes Stück entfernt stehen. Hier draußen, das ist ein paar Kilometer hinter Niebüll, Syltbesuchern als Verladebahnhof bekannt. Der Maler Emil Nolde wohnte nicht weit weg. Und ehe man sich versieht, ist man schon in Dänemark. Auch seine eigene Verwandtschaft wohne auf beiden Seiten des heutigen Grenzverlaufs, erzählt Johannsen.
„Die Geier sich vermehren / weil keiner hält sie auf / die Kassen sich leeren / die Schwachen zahlen drauf.“ Der kleine, verschmitzte Mann, und das macht ihn nicht nur hier zu einer Besonderheit, schreibt Gedichte. Seine Texte folgen einfachen Reimschemata, und ihr Versmaß ist keines, das fürs Lehrbuch taugt. „Schreiben als Befreiung“, nennt er das. „Man trägt etwas mit sich herum und möchte wissen, was andere dazu sagen.“ Über die Dinge, die ihn bewegen oder stören. Meist Letzteres: So hat Johannsen seine Empörung über den jüngsten Irakkrieg in einem Text verarbeitet oder zuletzt das Entsetzen über das Massaker in Beslan.
„Sehr viel“ hat er schon geschrieben, „eine große Bandbreite, lustige Sachen oder auch mystischere.“ Vieles notiert er auf die Schnelle, „danach kommt der Verstand hinzu“ – und längst nicht alles gelangt schließlich auch an die Öffentlichkeit. Anfangs habe ja die örtliche Zeitung den einen oder anderen Text abgedruckt. „Das waren halt Heimatgedichte“, und als solche nicht anstößig für den Abonnentenkreis.
Das änderte sich, als Johannsen Zeilen zu dichten anfing wie die in „Zerstörte Umwelt – zerstörte Freiheit“ aus dem Jahr 1973: „Brauchen wir Energie aus Atomreaktoren? / Laden wir nicht den Teufel zum Tanzen ein? / Werden selber dann im eigenen Kochtopf schmoren / und das Ende wird nur Leid und Elend sein“; sowas konnte dann nur in einer Zeitschrift der örtlichen Anti-AKW-Bewegung erscheinen.
Carsten Johannsens Lebenslauf lässt nicht darauf schließen, dass ein Poet in ihm steckt, und sei’s einer der Alltäglichkeiten. Von der einklassigen Volksschule erzählt er, der keine höhere Schulbildung folgte. Landwirt hat er gelernt und Berufsreiter, heute hat er eine Stelle in der Viehbeschau. Lange Zeit betrieb er ernsthaft Reitsport – Springen in der zweitbesten, Vielseitigkeit in der besten Leistungsklasse – und züchtete noch bis zum Mai vergangenen Jahres Pferde, Angloaraber. Die waren „mein halbes Leben“, sagt Johannsen. Aus finanziellen wie familiären Gründen musste er den Zuchtbetrieb aufgeben: Geldmäßig habe es nicht mehr gestimmt, und dann sei seine Mutter gestorben, die bis zuletzt mit im Haus wohnte.
„Ich habe immer alles mit Leidenschaft gemacht, die brauchte ich eigentlich bloß auf einen anderen Gegenstand zu übertragen.“ Trost suchte und fand er nach Jahren der Abstinenz wieder im Dichten. Begonnen hat er damit bei der Bundeswehr, 1966/67, angeregt durch einen Vorgesetzten mit Germanistikstudium, der „aus einem Rohdiamanten ein bisschen was gemacht“ hat. Trotzdem würde Johannsen heute vieles nicht mehr so formulieren, wie er es damals tat. Geschrieben hat er danach lange Zeit nicht – „da kann man wohl schon von so etwas wie Reife sprechen“, sagt er. Seine späteren Gedichte, zu denen steht er bis heute.
Aus manchen werden Lieder: Seit ein paar Jahren werden seine Reime auch vertont, wenn Johannsen selbst auch kein Sänger ist. Mit einigen Bekannten „hier von der Scholle“ trifft er sich regelmäßig zuhause, wo in der Stube solide Aufnahmegerätschaften aufgebaut sind. „Die Leidenschaft, mit der die Lieder geschrieben werden“, sagt er, „lässt sich nicht übertragen.“
Im August hat er eine neue Band um sich geschart, „Liwer dod as slaw“ heißt die, „Lieber tot als Sklave“, nach friesischer Tradition, sich so weit als möglich herauszuhalten aus allem, was nach großer Politik riecht, aus Kriegszügen etwa. Oder auch nur dem Zahlen von Steuern. Vielleicht klappt es nun auch wirklich mal mit einem Auftritt, wie Johannsen ihn schon ein paar Mal in Aussicht hatte – „am 1. Mai in Husum“.