Ausrede Windstrom

Die Energiewende ist weniger kostspielig als die Konzerne glauben machen wollen, sagen Experten auf dem Jubiläumskongress von Greenpeace energy. Stromnetz muss ohnehin erneuert und wegen Liberalisierung umgebaut werden

von Gernot Knödler

Die Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien taugt nicht zur Begründung der hohen Netznutzungsentgelte in Deutschland. Wie verschiedene Experten auf dem Kongress von Greenpeace energy am Wochenende in der Universität Hamburg ausführten, fallen die Kosten für den fälligen Netzumbau im Vergleich zu den Einnahmen aus dem Netzbetrieb wenig ins Gewicht. Auch das Vorhalten von Regelenergie zum Ausgleich von Schwankungen bei der eingespeisten Strommenge könne nicht gegen die erneuerbaren Energien angeführt werden. „Es ist bisher durch die Windkraft kein erhöhter Regelenergieaufwand nachweisbar“, sagte Johannes Lackmann vom Bundesverband Erneuerbare Energie.

Insbesondere der Vattenfall-Konzern argumentiert mit dem erhöhten Aufwand, den die stark schwankende Windenergie verursache. 38 Prozent der deutschen Windstromleistung (5.400 Megawatt Anfang 2004) stünden im Netzgebiet von Vattenfall Europe. „Die müssen aber veredelt werden“, sagte Vattenfall-Sprecher Johannes Altmeppen, um Strom gleichbleibender Qualität anbieten zu können.

Marcel Krämer vom Zentrum für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg und Hannover (ForWind) verwies darauf, dass ohne Windräder genauso viel Regelenergie benötigt werde. So habe im Netz der RWE 2001 innerhalb von Stunden Regelleistung im Gigawatt-Bereich zugeschaltet werden müssen, ohne dass in großem Umfang Windkraftanlagen am Netz gehangen hätten.

Überdies könne der Wind bereits heute mit einem Fehler von acht Prozent auf 48 bis 72 Stunden vorhergesagt werden. Das Netz benötige derzeit Voraussagen auf 24 bis 48 Stunden, aber die entsprechende Kraftwerksplanung könne möglicherweise geändert werden. „Regelenergie braucht man nur für unvorhersagbare Fälle“, sagte Lackmann. Für den Rest sei Ausgleichsenergie erforderlich, was bloß zur Folge habe, dass nicht im gleichen Umfang konventionelle Kraftwerke abgebaut werden könnten, wie Windräder dazukämen. Im Übrigen könnten sich erneuerbare Energien umso mehr gegenseitig ausgleichen, je größer ihr Anteil im Netz werde.

Im Grunde seien die Kosten der Regelenergie bloß entgangene Einnahmen, weil existierende Kraftwerke nicht auf Volllast gefahren werden könnten, vermutete Moderator Harald Schumann. „Das wäre früher richtig gewesen“, antwortete Altmeppen. „Heute muss der Netzbetreiber das am Markt kaufen.“ Die formal von ihren Stromerzeugungssparten getrennten Netzbetreiber kaufen also an der Strombörse Regelstrom, möglicherweise von ihren eigenen Schwesterunternehmen, die dort großen Einfluss auf die Preise haben. Rund eine Milliarde Euro pro Jahr berechnen die vier Stromriesen für Regelenergie.

Insgesamt kassieren die deutschen Netzbetreiber rund 20 Milliarden Euro an Nutzungsentgelt. Die Investitionen ins Netz sind dagegen in den vergangenen fünf Jahren von 5,4 auf zwei Milliarden Euro gesunken, während die Energiekonzerne satte Gewinne auswiesen. „Die Netznutzungsentgelte sind offensichtlich die Haupteinnahmequelle der Energieversorgungsunternehmen“, stellte Hans-Joachim Ziesing vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) fest. Sie seien europaweit am höchsten. „Im internationalen Vergleich“ lägen sie im Mittelfeld, behaupten die HEW. Dafür würden die Deutschen unter allen Europäern am sichersten mit Strom versorgt.

Auch Krämer wundert sich über die Gewinne der Stromkonzerne. Diese sollten ins Netz investieren und nicht anderswo Unternehmen aufkaufen. „Es geht um Energieversorgung und nicht darum, die Energiekonzerne als Aushängeschilder der deutschen Wirtschaft zu benutzen“, sagte er. Denn es ist Konsens, dass die Umstellung auf erneuerbare Energien und die Liberalisierung des Strommarktes einen Umbau des Netzes erforderlich machen.

Nach einer Studie der Deutschen Energie-Agentur (Dena) müssen dafür rund 800 Kilometer Stromleitungen neu gebaut werden, davon 600 Kilometer wegen der Windenergie in Norddeutschland. Kosten: eine halbe Milliarde Euro. Eine Premiere wäre der Umbau nicht. „Beim Bau der Atomkraftwerke war der Netzumbau kein Thema“, so Stefan Kohler von der Dena.

Während allenthalben eine Regulierungsbehörde für den Strommarkt gefordert wird, plädiert Krämer dafür, das Netz gleich zu verstaatlichen, weil es sich dabei um ein natürliches Monopol handele. Dann wären Energieversorger und Netzbetreiber sauber getrennt und es würde eine große Regelzone geschaffen, in der die Regelenergie nicht wie heute vierfach vorgehalten werden müsste.