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Archiv-Artikel

berliner szenen Udo Kier lässt sich zum 60. Geburtstag huldigen

Das Böse ist das Beste!

Die Filmabteilung an der Akademie der Künste führt ein erstaunlich unauffälliges Dasein. Seit die Filmfestspiele nicht mehr im Haus gastieren, hat sich der Veranstaltungsort aus der öffentlichen Wahrnehmung fast verabschiedet. Am Freitagabend platzte der Saal aber mal wieder aus allen Nähten – so wie in den goldenen Zeiten der Berlinale, als Aki Kaurismäki vom Bühnenrand volle Bierbüchsen in die begeisterte Menge warf.

Mit einer seinem Starstatus angemessenen halben Stunde Verspätung traf der Ehrengast dann ein: im bläulich oszillierenden Helmut-Lang-Anzug, sichtlich gut gelaunt. Udo Kiers 60. Geburtstag war eigentlich schon am Vortag, und offensichtlich hatte der Jubilar auch schon ausgiebig gefeiert. Mit einem weiteren Glas Weißwein im Anschlag ließ er die Huldigungen durch das Publikum über sich ergehen. Er hat sie verdient. Mit seinen mehr als 150 Filmrollen erspielte er sich bis jetzt zwar nicht die Mitgliedschaft in der Akademie der Künste, wohl aber den Status eines der weltweit berühmtesten Nebendarsteller. Nach Peter Lorre und Conradt Veidt ist Udo Kier inzwischen der markanteste Chargen-Deutsche Hollywoods.

Die im Kinosaal vorgeführte „Demoreel“ mit Ausschnitten aus Kier-Filmen erwies sich als schludrig zusammengepappte Montage. Ständig knallte es auf der Tonspur, sämtliche Kamera- und Schauspielerbewegungen holperten. Die Collage zeigte einerseits auf fast bestürzende Weise das schmale mimische Spektrum Kiers, das sich in den letzten 40 Jahren kaum verändert hat. Er ist ja kein Schauspieler im eigentlichen Sinne, sieht aber noch in den billigsten Produktionen großartig aus und veredelt diese allein durch seine Präsenz. Andererseits wurden in den Fragmenten seine Potenzen sehr deutlich. Zwischen dem strikten Understatement Lars von Triers oder Rainer Werner Fassbinders und dem gezielten Overacting Paul Morrisseys oder Christoph Schlingensiefs breitet sich die weite Ebene des Trashs. Kiers Mitwirken an zahllosen B-Pictures hat dabei ikonografische Wucht und wirkte stilprägend für den filmischen Camp. Einige von diesen angerissenen camp movies hätte man in voller Länge sehen mögen. Immerhin gab es stattdessen den 1984 in Zusammenarbeit mit Fassbinder und Ed Lachmann („Ken Park“) entstandenen „The Last Trip To Harrisburg“ sowie, als Deutschland-Premiere, „mRs MEiTLemmIHr“ von Graham Rose – ein High-Budget-Kurzfilm, in dem Udo Kier wieder einmal den Hitler gibt.

Neunzig Minuten und mehrere Gläser Weißwein später: Nach dem Filmprogramm im großen Saal war im Foyer eine Diskussion zum Thema „Warum ist das Böse so schön?“ angekündigt. Im Podium saßen neben dem Geburtstagskind noch Siegfried Zielinski (Akademiemitglied), Magita Haberland (Schauspielerin), Monika Funke Stern (Professorin) und Christoph Schlingensief. Wolfgang Joop hatte abgesagt. Trotz der mittlerweile späten Stunde blieb Kiers gute Laune konstant, er monologisierte über seine entbehrungsreiche Kindheit in Köln (montags Bohnensuppe, dienstags Linsensuppe), die Entdeckung für das Kino und verwies immer wieder auf seinen Helmut-Lang-Anzug. Zaghafte Versuche der Podiumsteilnehmer, das angekündigte Thema aufzugreifen, kamen gegen dieses Mantra glücklicherweise nicht an. Leicht genervt, doch immer noch charmant, posaunte Udo Kier lediglich ins Mikrofon: „Das Böse ist das Beste!“ Und wir alle wussten: Unser Udo ist ein Lieber. CLAUS LÖSER