: Die 1-Euro-Jobber legen los
Im großen Stil gibt es sie erst im nächsten Jahr. Aber rund 2.400 Berliner verdingen sich schon auf1-Euro-Basis. Als Pfleger, Gärtner, Kita-Hilfen. Hartz-Gegner wollen heute wieder demonstrieren
von RICHARD ROTHER
Raimund Semanski * ist erbost. Seit drei Jahren ist der Bibliothekar nun schon arbeitslos, jetzt hat ihm die Arbeitsagentur ein Angebot unterbreitet: einen 1-Euro-Job in einer Weddinger Schule. „Ich bin überhaupt nicht für den Umgang mit Kindern ausgebildet“, sagt Semanski. „Was passiert, wenn etwas passiert?“
Anfang Oktober war Semanski mit rund 20 weiteren Arbeitslosen zu einer Informationsveranstaltung einer Beschäftigungsgesellschaft geladen worden. „Sehr seltsam“, erinnert sich Semanski. Handwerker, Sekretärinnen, Verkäufer, Ingenieure – sie alle hätten in Schulen eingesetzt werden sollen. „Jeder kann etwas machen“, habe es geheißen, „es reicht die Liebe zu den Kindern.“ Die Vorschläge: gärtnern, Sport AG betreuen, Computerkurse leiten, dem Hausmeister zur Hand gehen. Begeistert sei aber niemand der Arbeitslosen gewesen, so Semanski. Zurzeit sind die 1-Euro-Jobs, die nach dem Willen der rot-grünen Bundesregierung ab 1. Januar massenhaft eingeführt werden, noch freiwillig. Erst ab Januar drohen den Arbeitslosen Sanktionen, wenn sie solche Angebote ablehnen.
Die Berliner Regionaldirektion der Arbeitsagentur zeigt sich mit dem bislang Erreichten zufrieden. Rund 6.400 1-Euro-Jobs für bisherige Arbeitslosenhilfebezieher sollen noch in diesem Jahr entstehen. Bislang sind nach Angaben der Agentur schon rund 2.400 besetzt. In Anbetracht der Kürze der Zeit sei dies eine gute Quote, so Behördensprecher Olaf Möller. Viele Arbeitslose hätten gezielt danach gefragt.
Derzeit verdienen die 1-Euro-Jobber in der Regel 1,50 Euro pro Stunden, arbeiten 30 Stunden pro Woche. Begleitende Qualifizierungen gibt es nicht. Organisiert werden die Einsätze von Beschäftigungsträgern, die mit den Arbeitsagenturen vor Ort und den Bezirksämter zusammenarbeiten. Einsatzgebiete sind etwa Senioren- und Behindertenheime, Kinder- und Kulturprojekte, Garten- und Landschaftspflege.
Martina Schmiedhofer, Grünen-Sozialstadträtin in Charlottenburg-Wilmersdorf, stört sich an dem Begriff 1-Euro-Job. Rechne man alle Leistungen zusammen, komme man bei den Arbeitsgelegenheiten auf Stundenlöhne von rund sieben Euro. In ihrem Stadtbezirk stünden rund 650 Plätze zur Verfügung, bis zu 300 seien schon vergeben. Wenn die Arbeitsgelegenheiten mit Qualifizierung verbunden und individuell ausgestaltet würden, seien sie sinnvoll, so Schmiedhofer, reine Massenveranstaltungen jedoch nicht.
Für viele Hartz-IV-Gegner sind die 1-Euro-Jobs dennoch eine Form von „Zwangsarbeit“, mit der langfristig reguläre in prekäre Jobs umgewandelt werden. Erst in der vergangenen Woche hatten Erwerbslosen- und linke Aktivisten ein Büro der Arbeiterwohlfahrt besetzt und von der Organisation gefordert, keine 1-Euro-Jobs anzubieten.
Auch der Arbeitslose Raimund Semanski bleibt skeptisch. „An den Schulen werden Stellen gestrichen, dann kommen 1-Euro-Jobber. Das ist nicht in Ordnung.“ Wenn jemand freiwillig einen 1-Euro-Job mache und er ihm aus der Lethargie helfe, sei das okay. Aber: „Wenn ich in dieser Jobmühle bin, fehlen mir Zeit und Energie, mich zu bewerben.“
* Name geändert
Montagsdemos und kein Ende: Gegen Hartz IV wird heute wieder demonstriert. Ab 18 Uhr auf dem Alex