: Elitesoldaten als illegale Einwanderer
Kongolesische Offiziere, die in Belgien als Vorhut einer neuen Armee ihres Landes ausgebildet werden sollten, sind stattdessen abgehauen. Nach immer neuen Desertionen wurde das Ausbildungsprogramm jetzt vorzeitig beendet
BERLIN taz ■ Es sollte ein Vorzeigeprogramm europäisch-afrikanischer Militärkooperation werden und zugleich ein Symbol der Unterstützung Belgiens für den Friedensprozess in der Demokratischen Republik Kongo. Aber nun hat Brüssel die im September begonnene Ausbildung kongolesischer Offiziere in Belgien als Kern für eine neue geeinte kongolesische Nationalarmee eingestellt. Der Grund: 16 der 285 Auszubildenden sind spurlos verschwunden und geistern nun als illegale Einwanderer umher – möglicherweise in Deutschland.
Die ersten vier Desertionen aus dem Trainingslager in der belgischen Militärbasis Elsenborn nahe der belgisch-deutschen Grenze wurden am 3. Oktober bekannt. Angereiste Angehörige der Kongolesen schlugen Alarm, als sie ihre Verwandten nicht fanden. Der Leiter des kongolesischen Kontingents, Brigadegeneral Dieudonne Mbanze-Lubunji, berief eine Pressekonferenz ein und sprach von einer „Entführung“ seiner Männer durch „Feinde des Kongo“. Dann deutete er an, was wirklich passiert war. Er sagte, er habe die Pässe aller anderen kongolesischen Soldaten unter seinem Kommando eingezogen, damit niemand mehr abhaue.
Ausgang gestrichen, Kulturprogramm abgesagt: Es nützte nicht viel. Am 11. Oktober wurden die nächsten acht Verschwundenen gemeldet, am 13. Oktober noch einmal vier. Daraufhin hatten die Belgier und der kongolesische General Mbanze genug. In der Nacht zum Donnerstag weckte der General 153 seiner Offiziere und befahl ihnen, ihre Sachen zu packen. Sieben Stunden später saßen sie in einem Airbus der belgischen Armee mit dem Ziel Kinshasa; die anderen sollen in diesen Tagen folgen. Das Ausbildungsprogramm, das fünf Wochen hätte dauern sollen, war zehn Tage eher als geplant zu Ende.
Belgiens Verteidigungsministerium erklärte, die frühzeitige Rücksendung der 153 Offiziere liege daran, dass sie ihre Ausbildung besonders erfolgreich abgeschlossen hätten. Verteidigungsminister André Flahaut, dessen Idee es war, die Kongolesen nach Belgien zu holen, statt sie wie üblich zu Hause auszubilden, sprach von einer „vernünftigen Maßnahme“, um weitere Desertionen zu vermeiden.
Exilkongolesen in Belgien sind sich sicher: Die 16 Verschwundenen sind zu den „Ngulus“ gestoßen – ein Wort aus der kongolesischen Lingala-Sprache für Leute, die sich im Kongo in eine Gruppe regulärer Reisender hineinmogeln, die aufgrund einer kulturellen, sportlichen oder sonstigen Gelegenheit ein Visum für „Mputu“ (Europa) bekommen haben; so gelangen sie nach Europa und bleiben dort illegal. Viele berühmte Kongolesen, vom Popstar Papa Wemba bis hin zur Fußballnationalmannschaft, haben auf diese Weise wissentlich oder versehentlich Migranten nach Europa geschleust.
„Das ist schon eine Möglichkeit“, sagt der zuständige belgische General Van Bilsen zu diesem Szenario im belgischen Rundfunk. Auch ein Brief eines der Deserteure wurde vorgelesen, der seinen Schritt begründete: „Ich habe 30 Jahre Militärkarriere hinter mir und besitze kein Zuhause, nicht einmal ein Fahrrad. Ich werde seit Monaten nicht bezahlt. Versteht mich: Ich versuche mein Glück.“
Die schlechten Lebensumstände der geschätzt 320.000 Mann unter Waffen im Kongo ist eine der größten Belastungen des Friedensprozesses. Die geplante Bildung einer geeinten nationalen Armee aus den bisherigen Bürgerkriegsarmeen, die im Dezember beginnen soll, wird immer wieder verschoben, da ein Großteil der Kämpfer dann entlassen werden müsste und überhaupt keine Perspektive hätte. Der kongolesische Exiljournalist Nana Bitsho in Brüssel sagt, dass die meisten der Deserteure aus westkongolesischen Provinzen kämen. Deren Bewohner befürchten, in der künftigen Arme den Kürzeren gegenüber den Offizieren aus den Heimatregionen der Kriegsparteien im Süden und Osten des Landes zu ziehen.
General Mbanze vermutet die Deserteure in Frankreich oder in den Niederlanden. Die Verwandte eines der Militärs ist sich jedoch sicher, dass zumindest das erste Ziel Deutschland war, da sich das belgische Camp so nahe an der Grenze befindet.
FRANÇOIS MISSER