: Großputz an der Wall Street
Neuer Chef der New Yorker Börse führt mehr Kontrolle ein. Selbstbereicherung wie beim Vorgänger soll nicht mehr möglich sein. Aufsichtsrat und Vorstand werden getrennt
NEW YORK taz ■ Als John Reed vor einem Monat zum Leiter der New Yorker Börse (NYSE) ernannt wurde, wurde er als Retter des wichtigsten Aktienmarktes der Welt gefeiert. Der neue Chef der Wall Street sollte die größte Aufräumarbeit in der 211 Jahre alten Geschichte der Börse machen, nachdem Vorgänger Dick Grasso das Amt wegen seiner Gier räumen musste.
Gestern gab Reed Einzelheiten des Plans bekannt, mit denen er die NYSE wieder auf Vordermann bringen will. So will er die Börse in der Zukunft von zwei Aufsichtsräten leiten lassen. Einer soll aus Fachleuten wie der ehemaligen Außenministerin Madeleine Albright bestehen, die keine Börsenerfahrung haben. Sie sollen die Gehälter der Manager und die Börsenaufsicht über den Handel überwachen. Der andere Aufsichtsrat würde sich aus Bankern von der Wall Street zusammensetzen. Sie kontrollieren den Aktienmarkt.
Selbst die Aufgaben des Börsenchefs sind nicht mehr das, was sie früher waren. So soll die Position des Chief Executive Officer von der des Chairman getrennt werden – im deutschen System hieße das in etwa, Aufsichtsrat und Vorstand zu trennen. Das ist ein Fortschritt, denn als Grasso beide Posten hielt, konnte er sich ein Gehalt von 140 Millionen Dollar genehmigen, ohne auf Widerstand zu stoßen. Die meisten der 1.366 Mitglieder der Börse, darunter auch die größten Wall-Street-Firmen, finden Reeds Plan gut. Er enthält nicht viel, was ihren Einfluss schmälern könnte.
Enttäuschung herrscht allerdings bei den großen Fonds. Sie kritisieren, dass der Aktienmarkt auch nach der Reform für die Überwachung des eigenen Handels zuständig ist. Eine vollständige Trennung der beiden Funktionen wäre viel besser. Dann könnte sich eine Aufsichtsbehörde für die Rechte der Investoren einsetzen. Bei dem Platzrivalen Nasdaq ist das schon seit langem der Fall.
Für solche Reformen wäre es höchste Zeit. Ein neuer Skandal bahnt sich an. Die NYSE ist eine der letzten Börsen, die ihren Handel nicht auf Computer umgeschaltet hat. Jeden Tag stehen ihre Händler, auch Spezialisten genannt, auf dem Parkett, wo sie für den Kauf und den Verkauf der Aktien zuständig sind. Fällt der Aktienpreis, müssen sie in die eigene Tasche greifen, um den Handel durch Eigenfinanzierung zu unterstützen. Ihr Geschäft ist so lukrativ, dass große Wall-Street-Banken viele von ihnen aufgekauft haben.
Doch vor ein paar Wochen wurden sie beim Stehlen erwischt: Sie kauften Aktien und verkauften diese dann teurer an andere Käufer, obwohl das verboten ist. Die Differenz steckten sie in die eigene Tasche. Auf diese Art sollen sich fünf der größten Spezialisten, die Wall-Street-Banken wie Goldman Sachs, Bear Stearns und Fleet Bank gehören, in den letzten drei Jahren um 100 bis 150 Millionen Dollar bereichert haben. Es könnte noch viel mehr gewesen sein. Die Fonds behaupten seit langem, dass die Spezialisten in die eigenen Taschen wirtschaften. Das kann den Spezialisten allerdings nicht mehr nachgewiesen werden. Sie müssen die Akten, in denen sie ihren Handel verbuchen, nicht länger als drei Jahre lang aufheben. HEIKE WIPPERFÜRTH